Die Inflation im Euro-Raum scheint auf den ersten Blick unter Kontrolle: Mit rund zwei Prozent nähert sich die Teuerung dem Zielwert der Europäischen Zentralbank (EZB). Doch ein genauer Blick offenbart eine zunehmende Spaltung – sowohl geografisch als auch strukturell. Besonders deutlich zeigt sich das am Beispiel Frankreichs, das sich deutlich vom Trend der meisten anderen Mitgliedsländer absetzt.
In Frankreich liegt die Inflationsrate seit Monaten unter einem Prozent. Im Juli verzeichnete das Land erneut eine der niedrigsten Teuerungsraten im gesamten Euro-Raum. Zum Vergleich: In Estland stiegen die Preise um 5,6 Prozent, in Kroatien um 4,5, in Österreich um 3,6 und in Spanien um 2,7 Prozent. Auch in Portugal, Slowenien und Italien ist die Inflation zuletzt wieder gestiegen.
Ökonomen führen Frankreichs Sonderrolle vor allem auf zwei Faktoren zurück: eine vergleichsweise stabile Energieversorgung – gestützt auf die umfangreiche Nutzung von Atomkraft – und politische Eingriffe in die Preisbildung, etwa durch Subventionen und Preisdeckel. Frankreich habe damit bereits während der Energiekrise deutlich geringere Preisschocks erlebt als viele Nachbarn. Zusätzlich wirken sich Sondereffekte wie eine verzögerte Mehrwertsteueranpassung stabilisierend aus.
Diese Entwicklung bringt die EZB zunehmend in eine Zwickmühle. Während sie offiziell eine „angemessene Geldpolitik“ für den gesamten Euro-Raum anstrebt, klaffen die makroökonomischen Ausgangslagen der Mitgliedstaaten weit auseinander. Was für Frankreich zu restriktiv wäre, könnte für Estland oder Kroatien bereits zu locker sein.
Schwächen der Währungsunion rücken wieder in den Fokus
Daniel Hartmann, Chefvolkswirt beim Vermögensverwalter Bantleon, erklärt: „Von einem generellen Disinflationstrend kann keine Rede sein. In einigen Ländern erreichte die Inflation zuletzt neue Höchststände.“ Auch die sogenannte Kerninflation – bereinigt um Energie, Tabak und Lebensmittel – bleibt mit 2,3 Prozent leicht über dem Zielwert und zeigt weiterhin Unterschiede zwischen den Ländern.
Für die EZB dürfte es in den kommenden Monaten schwieriger werden, mit einer einheitlichen Zinspolitik allen Mitgliedstaaten gerecht zu werden. Die wirtschaftlichen Ungleichgewichte im Euro-Raum rücken wieder stärker in den Vordergrund – und mit ihnen auch die strukturellen Schwächen der gemeinsamen Währung.