Das französische Kernkraftwerk korrodiert. Es ist nicht mehr das, was es einmal war

Die inspirierende Insel der Stabilität im Meer des französischen Chaos sinkt schnell. Die Kernkraftwerksflotte altert und es gibt keine neue.

Kernkraftwerk Bugey in Saint Vulbas. Foto: Romain Doucelin/SOPA Images/LightRocket via Getty Images

Kernkraftwerk Bugey in Saint Vulbas. Foto: Romain Doucelin/SOPA Images/LightRocket via Getty Images

Das Land des gallischen Hahns hat sich seit jeher mit dem heißen Blut seiner Bewohner identifiziert. Das ist eines der Merkmale, die die Franzosen auszeichnen. Daraus resultierten häufige Unruhen, Bürgerkriege und Regimewechsel.

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht sichtbar ist, befindet sich der Staat auch heute noch im Chaos. Eine bekannte Dame schwärmte nach einem kürzlichen Besuch in Bratislava davon, wie sauber und angenehm die Hauptstadt der Slowakei sei. Sie lebt im Süden Frankreichs, wo dies ihrer Meinung nach nicht der Fall ist.

Es gibt mehrere Gründe für den Niedergang des Landes. Es kämpft mit einem Rückgang der Geburtenrate, der eng mit Haushaltsproblemen zusammenhängt. Eine alternde Bevölkerung bedeutet nämlich, dass weniger Menschen arbeiten und mehr Menschen Renten beziehen.

Die schlechte demografische Situation in Europa wird seit langem durch Migration kompensiert. Diese öffnet jedoch die Büchse der Pandora, ohne das Problem zu lösen. Eine nicht unerhebliche Zahl von Einwanderern verfügt nämlich nicht über grundlegende Arbeitsgewohnheiten und belastet das großzügige französische Sozialsystem. Die Haushaltsprobleme, die natürlich nicht ausschließlich mit der Migration zusammenhängen, führen dann auch zu politischen Problemen.

Inmitten der französischen Instabilität gibt es seit langem einige inspirierende Inseln. Einer der Bereiche, in denen das Land ganz Europa lange Zeit als Vorbild diente, war der Umgang mit Kernenergie.

Die Vergangenheitsform im vorigen Satz ist kein Zufall. Denn auch die französische Energiewirtschaft rostet langsam. Und das ist nicht nur eine blumige Metapher, sondern eine bedrückende Tatsache.

Reichtum muss gepflegt werden

Es ist ein Paradox. Das Land erzeugt zwei Drittel seines Stroms durch Kernspaltung. In dieser Hinsicht ist es weltweit klarer Spitzenreiter. Während andere Staaten nach den Unfällen von Tschernobyl und Fukushima von der Kernenergie abrückten, blieb Paris standhaft. So verfügen heute nur die wesentlich größeren Vereinigten Staaten und China über mehr Kernkraftwerke.

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Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Union vernachlässigt jedoch irgendwie diesen komparativen Vorteil. Sie kümmert sich nicht sonderlich um ihren nuklearen Reichtum, der ihr langfristig ein hohes Maß an Energieunabhängigkeit und gleichzeitig niedrige Emissionen beschert.

Das Durchschnittsalter der französischen Reaktoren erreichte im vergangenen Jahr 39,1 Jahre. Die geplante Lebensdauer beträgt dabei standardmäßig 40 Jahre.

Das Problem der alternden Kraftwerke zeigte sich am deutlichsten im Jahr 2022, als Europa nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine mit einer Energiekrise konfrontiert war. Zu bestimmten Zeitpunkten war fast die Hälfte der Reaktoren aufgrund technischer Probleme und Überprüfungen abgeschaltet. Die Produktion der Kernkraftwerke war daher die niedrigste seit 30 Jahren, und Frankreich wurde trotz seiner Dominanz im Kernkraftbereich zu einem Nettoimporteur von Strom, was für das Land einen historischen Schock darstellte.

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Es gibt eine Lösung für die Alterung der Flotte. Der Betrieb der Reaktoren kann um weitere zwanzig Jahre verlängert werden. Dies erfordert jedoch eine relativ aufwendige und kostspielige Modernisierung.

Die dortige Regulierungsbehörde hat entschieden, dass das staatliche Unternehmen EDF zwei Dutzend seiner Reaktoren mit einer Leistung von 1.300 Megawatt nach Ablauf ihrer ursprünglichen Lebensdauer von 40 Jahren für weitere zehn Jahre betreiben darf. Allerdings unter der Bedingung, dass die erforderlichen Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt werden. Frankreich plant, diese durchzuführen. EDF hat dafür bereits rund sechs Milliarden Euro bereitgestellt.

Modernisierung reicht nicht aus

Die Verlängerung der Lebensdauer muss mit dem Bau neuer Reaktoren einhergehen. Andernfalls wird nur das Unvermeidliche hinausgezögert.

Diese ist äußerst kostspielig, langwierig und unvorhersehbar. Der Bau des neuesten Reaktors Flamanville 3 hat gezeigt, dass die ursprünglichen Budgets in der Regel zu niedrig angesetzt sind – ebenso wie die Bauzeit.

Er sollte bereits 2012 in Betrieb gehen, wurde aber erst im Dezember letzten Jahres von den Franzosen ans Netz angeschlossen. Aufgrund von Wartungs- und Kontrollarbeiten musste er jedoch zwei Monate lang vom Netz genommen werden. Im Normalbetrieb läuft er somit erst seit April dieses Jahres. Aus den geschätzten Kosten in Höhe von 3,3 Milliarden Euro sind inzwischen schwindelerregende 13 Milliarden Euro geworden.

Obwohl Präsident Emmanuel Macron seit einigen Jahren von einer Renaissance der Kernenergie in Frankreich und dem Bau neuer leistungsstarker Blöcke spricht, deuten die jüngsten Erfahrungen darauf hin, dass es bereits heute zu spät sein könnte, damit zu beginnen. Darüber hinaus stellte der dortige Rechnungshof im Januar fest, dass Frankreich „bei weitem nicht bereit” für den Bau von sechs Kernreaktoren ist, den Macron vor drei Jahren angekündigt hatte.

Auch wenn die Dominanz und Präferenz Frankreichs für Kernenergie inspirierend sein mag, zeigt die Vernachlässigung des Baus einer neuen Flotte, die in den kommenden Jahrzehnten die Flagge des gallischen Hahns tragen würde, die Unfähigkeit der dortigen Politik, langfristig zu denken.

Die Slowakei, die heute ebenfalls mit alternden Reaktoren zu kämpfen hat und den Bau eines neuen Reaktors plant, sowie andere europäische Länder, die sich geweigert haben, auf Kernenergie zu verzichten, sollten aus den Fehlern Frankreichs lernen und diese vermeiden. Die Bedeutung dieser Energiequelle wird im Zeitalter der künstlichen Intelligenz, die ein enormer Verbraucher von Strom ist, exponentiell zunehmen.

Autor: Samuel Kolesár