Mit Jahresende zieht sich Omar Haijawi-Pirchner von der Spitze der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) zurück – elf Monate vor Ablauf seiner Amtszeit. Offiziell nennt er „private Gründe“. Doch nur kurze Zeit später wird ein Fall bekannt, der das Vertrauen in den Staatsschutz massiv erschüttert: Ein Polizist, der der DSN zugeteilt war, soll Informationen an die islamistische Muslimbruderschaft weitergegeben haben – eine Organisation, die in Österreich seit Jahren als extremistisches Netzwerk unter Beobachtung steht.
Ermittlungen wegen Amtsmissbrauch
Wie das Magazin profil berichtet, wurde der Beamte suspendiert, nachdem interne Kontrollen auffällige Datenabfragen zeigten. Er soll mehrfach ohne dienstlichen Anlass auf sensible Informationen zugegriffen haben – offenbar mit Bezug zu Personen aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft. Bei einer Hausdurchsuchung wurden Datenträger sichergestellt, der Mann wurde vernommen. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt wegen Amtsmissbrauchs.
Behördensprecherin Judith Ziska erklärte, die unzulässigen Abfragen hätten sich über mehrere Wochen erstreckt. Ob der Beamte tatsächlich vertrauliche Daten weitergab, sei noch unklar, doch die Hinweise seien „konkret“. Der Verdächtige hatte laut Innenministerium keinen Zugriff auf streng nachrichtendienstliche Informationen – doch schon der Missbrauch interner Polizeidatenbanken wiegt schwer.
Das Innenministerium betont, interne Kontrollmechanismen hätten „entscheidend zur Aufklärung beigetragen“. Nach „eingehender Beobachtung und Bewertung“ habe man die Suspendierung ausgesprochen. Doch dass ein Beamter mit Kontakten in das islamistische Milieu offenbar über Wochen unbehelligt Zugriff auf sensible Daten hatte, wirft Fragen auf – insbesondere nach der Führungsstruktur und internen Aufsicht der DSN.
Ein Rücktritt zur rechten Zeit?
Haijawi-Pirchner, der seit 2021 an der Spitze des Nachrichtendienstes stand, war einst als Hoffnungsträger angetreten, um nach dem BVT-Skandal ein modernes, professionelles und politisch unabhängiges Amt aufzubauen. Sein Rücktritt kam daher überraschend – zumal er das Haus noch bis Jahresende führen sollte. Der Zeitpunkt, nur wenige Wochen vor Bekanntwerden der Muslimbruder-Affäre, sorgt nun für Spekulationen: Wusste er mehr, als öffentlich bekannt ist?
Offiziell bleibt Haijawi-Pirchner dem Innenministerium erhalten: Er übernimmt die Evaluierung des Staatsschutzgesetzes und der DSN-Strukturen – also jenes Systems, das nun selbst im Fokus steht. In seiner Erklärung sprach er von einer „ehrenvollen Aufgabe“, doch in Sicherheitskreisen wird gemutmaßt, dass interne Konflikte und politischer Druck den Ausschlag gaben.
Bereits seit Monaten kursieren Berichte über Spannungen innerhalb der Behörde, über unklare Zuständigkeiten und über die politisch heikle Nähe des Verfassungsschutzes zur ÖVP. Für die FPÖ ist der Fall ein gefundenes Fressen: Sicherheitssprecher Gernot Darmann spricht von einem „Höhepunkt einer Kette katastrophaler Versäumnisse“ und wirft Innenminister Gerhard Karner „sicherheitspolitisches Chaos“ vor.
Dauerkrise im Nachrichtendienst
Die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst war 2021 als Nachfolgebehörde des skandalgeplagten BVT gegründet worden – mit dem Anspruch auf einen „Neuanfang“. Doch von Ruhe kann keine Rede sein: Innerhalb von nur drei Jahren verließen gleich drei Spitzenkräfte die Behörde vorzeitig – neben Haijawi-Pirchner sein Stellvertreter David Blum (2023 in die Privatwirtschaft) und Michael Lohnegger (seit 2024 Chef des steirischen Landeskriminalamts).
Beobachter sehen darin ein Symptom struktureller Probleme: zu viel politischer Einfluss, zu wenig Vertrauen, zu viele ungelöste Altlasten. Auch die laufende Evaluierung des Staatsschutzgesetzes gilt als potenziell brisant, da sie die internen Kompetenzen, Aufsicht und Kontrolle neu ordnen könnte.
Offene Fragen
Während die Ermittlungen gegen den verdächtigen Beamten weiterlaufen, bleibt unklar, ob es sich tatsächlich um einen Einzelfall handelt. Sollte sich der Verdacht bestätigen, dass Informationen an eine islamistische Gruppierung gelangten, wäre das ein schwerer Schlag für das Vertrauen in die Sicherheitsarchitektur des Landes.
Dass der Skandal just wenige Wochen nach Haijawi-Pirchners Rücktritt ans Licht kommt, befeuert die Spekulationen zusätzlich. Zufall – oder ein weiterer Beleg dafür, dass Österreichs Nachrichtendienst noch immer auf wackeligen Beinen steht?