Zerbröselt die Dreierkoalition schon nach sieben Monaten? Beim Mini-Regierungspartner NEOS haben offenbar immer weniger Parteimitglieder Lust, den Koalitionspartner ÖVP weiter zu unterstützen. Nach dem Abgang von Stephani Krisper aus dem Nationalrat, postete nun die NEOS-Abgeordnete Sophie Wotschke Kritisches auf X.
Die Bundesvorsitzende der jungen NEOS Sophie Wotschke wollte sich offenbar nicht der offiziellen Parteilinie des Schweigens zur Diversion des ÖVP-Klubobmanns August Wöginger unterwerfen. Die Nationalratsabgeordnete kommentierte nun den Fall, über den ganz Österreich diskutiert, auf X: "Diversion heißt, eine Verurteilung wegen Bestimmung zu Amtsmissbrauch wäre wahrscheinlich gewesen. Und dennoch kein Rücktritt, nicht einmal eine Entschuldigung! Die ÖVP und Wöginger verneinen ein Fehlverhalten. Stattdessen framed man Postenschacher als Bürgerservice. Verantwortungsübernahme kann nicht bei der Türe zum Gerichtssaal enden. Die WKStA sollte Beschwerde einlegen."
Diese offene Kritik am Regierungspartner ist in Österreichs jüngerer Geschichte eher unüblich - das zeigt, wie fragil die von ÖVP-SPÖ-NEOS geschlossene Koalition tatsächlich ist. In der ÖVP wird die Wortmeldung Wotschkes ankommen. Und wer die Führungsspitze der Volkspartei kennt, der weiß: Das wird auch Folgen für die NEOS haben.
Auch Stephanie Krisper, die stellvertretende Klubobfrau der NEOS, war bekanntlich mit ihrer Kritik beim Abschied aus dem Parlament sehr deutlich: Krisper kritisierte den Regierungskurs ihrer Partei, von der sie sich über die vergangenen Monate entfremdet hätte. Dass es in einer Koalition Kompromisse brauche, sei "natürlich klar". Aber die Abstriche wären zu groß. "Es kam auch zu Veränderungen in der Haltung bei NEOS als Regierungspartei", meinte Krisper – etwa beim Stopp der Familienzusammenführung und der Messengerüberwachung.
Außenministerin und NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger ist mit ihrer Regierungsbeteilung bereits massiv unter Druck: Sämtliche aktuelle Umfragedaten sind ziemlich schlecht, die Mini-Partei liegt auf nur noch 8 Prozent. Dazu erschüttern die NEOS und Meinl-Reisingers Außenministerium immer wieder peinliche Skandale wie das Auffliegen des ÖVP-nahen Porno-Botschafters oder irritierende Zahlungen an Burkina Faso (statement.at hat berichtet) oder an Syriens Machthaber. Ebenso belastend für das Image der NEOS: Der rücktrittsreife Deregulierungs-Staatssekretär, der zwar weit reist und teuer fährt, aber wenig dereguliert.
Vom Hoffnungsträger zum Retter des Machterhalts von ÖVP, SPÖ
Als die NEOS 2012 gegründet wurden, galten sie als Hoffnungsträger einer neuen politischen Mitte. Sie wollten raus aus der lähmenden Lagerlogik zwischen SPÖ, ÖVP und FPÖ, sie wollten Transparenz, Eigenverantwortung und weniger Staat. Eine liberale Partei mit bürgerlichem Anspruch, aber ohne die konservative Schwere der ÖVP. Unter Meinl-Reisinger geben sich die NEOS proeuropäisch, modern und sachlich – und versprachen, nie Teil jenes Systems zu werden, das sie angetreten waren aufzubrechen.
13 Jahre später ist von diesem Anspruch wenig übrig. Seit dem Eintritt in die Bundesregierung wirken die NEOS gezähmt, eingebunden, systemkonform. Der einstige Gestaltungsdrang ist einer Art Verwaltungsmentalität gewichen.
