Der Fall der ORF-Reporterin Sonja Sagmeister zeigt exemplarisch, wie mit kritischen Stimmen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk umgegangen wird. Drei Jahrzehnte lang arbeitete sie für den österreichischen ORF, berichtete als EU- und NATO-Korrespondentin, galt als eine der erfahrensten Reporterinnen des Hauses. Bis sie es wagte, intern Kritik zu äußern – und damit einen Prozess auslöste, der sie schließlich aus dem Journalismus katapultierte. In einem Interview mit der deutschen Welt packt sie über den Küniglberg aus:
Im Oktober 2022 wurde Sagmeister kurzfristig zu einem Interview mit dem damaligen Wirtschaftsminister Martin Kocher geschickt. Thema laut Disposition: „Arbeitsmarkt und Budget“. Doch Sagmeister wollte zusätzlich über die Inflation sprechen – sie lag damals bei knapp zehn Prozent, höher als im EU-Schnitt. „Ich habe recherchiert und gesehen, dass das das Thema ist, das die Menschen bewegt“, sagt sie. Doch noch vor Beginn des Gesprächs machte die Pressestelle des Ministeriums deutlich: Fragen außerhalb des vorgegebenen Themenkatalogs seien nicht erwünscht.
Sagmeister weigerte sich. „Ich habe gesagt: Wir sind hier nicht in Nordkorea, Journalisten dürfen frei fragen.“ Das Interview führte sie trotzdem – mit den Fragen, die sie für relevant hielt. Doch danach begann ein schleichender Prozess der Ausgrenzung.
Vom Star ins Archiv
Wenige Wochen später hatte sie keinen Dienstplan mehr, musste täglich nachsehen, ob sie am nächsten Tag überhaupt eingeteilt war. Schließlich wurde sie in das sogenannte „Todesarchiv“ versetzt, wo sie Nachrufe auf noch lebende Personen vorbereiten musste. „Ich war leitende Redakteurin – und plötzlich Nachrufbeauftragte in Dauerschleife“, sagt sie. Drei Monate lang blieb sie dort, ohne Perspektive auf Rückkehr in den aktiven Journalismus.
Sagmeister klagte gegen die Versetzung und gewann in erster Instanz. Das Gericht stellte fest, dass die Entscheidung, sie loszuwerden, offenbar unmittelbar nach ihrem Widerspruch gegen politische Einflussnahme gefallen war. Dennoch stellte der ORF sie frei – bezahlt, aber ohne Aufgaben. „Man wollte offenbar keine kritische Stimme mehr im Haus haben.“
Für Sagmeister ist ihr Fall kein Einzelfall, sondern Symptom eines Systems. „Früher gab es im Journalismus viele eigenwillige Charaktere, die gestritten und diskutiert haben. Heute dominiert ein einheitliches Mindset – jeder, der ausschert, wird schief angeschaut.“ Reformen seien kaum möglich, weil interne Kritik als Störung verstanden werde.
Auch parteipolitische Veränderungen hätten nichts verbessert. „Egal ob Rot, Schwarz oder Blau – jede Regierung versucht, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für sich zu nutzen. Unter der ÖVP-FPÖ-Regierung wurden einfach neue Leute auf alte Posten gesetzt, und alles lief weiter wie bisher.“ Das Grundproblem liege in der Nähe zur Politik.
Vertrauensverlust und Distanz zum Publikum
Besonders kritisch sieht Sagmeister die heutige Finanzierung über den Bundeshaushalt. „Früher musste sich der ORF gegenüber den Gebührenzahlern rechtfertigen, erklären, warum man zahlen sollte. Heute fließt das Geld automatisch, wie eine Steuer – und damit fehlt die Kontrolle durch die Bürger.“
Das führe dazu, dass viele Menschen kein Vertrauen mehr hätten. „Wenn der ORF stundenlang Parteitage überträgt, aber Gebührenzahler mit echten Problemen gar nicht durchkommen, entsteht das Gefühl: Ich zahle, aber ich habe nichts zu sagen.“ Trotz allem hält Sagmeister am Prinzip des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fest. „Ohne Geld ka Musi“, sagt sie, „aber der Rundfunk muss unabhängig sein. Journalisten dürfen keine Schoßhunde sein, sondern Wachhunde.“
Für sie steht fest: „Solange interne Kritik bestraft wird, statt ernst genommen, werden die Falschen gefördert – die Bequemen. Das System begünstigt Opportunismus. Und wenn Journalisten beginnen zu überlegen, ob eine Frage ihrer Karriere schadet, ist Journalismus am Ende.“
Heute ist Sonja Sagmeister freigestellt. Sie darf nicht mehr recherchieren, nicht mehr moderieren. „Einige Kollegen haben mir hinter vorgehaltener Hand gratuliert. Aber niemand wollte sich offen solidarisieren“, erzählt sie. „Viele haben Familie, Kredite, Angst um ihren Job. Das ist menschlich, aber traurig.“