Sie ist Bestsellerautorin, Medienwissenschaftlerin, Mutter von drei Buben und bezeichnet sich selbst als „süchtige Infoholikerin“, die nur schwer die Finger vom Handy lassen kann. Trotzdem: In ihrem soeben erschienen Buch „Rettet die Kindheit“ rechnet Maja Lunde mit dem Digitalisierungs-Wahnsinn bei Kindern und Jugendlichen ab.
Im Interview mit dem deutschen Spiegel erklärt die Bestsellerautorin ("Die Welt der Bienen"), warum. „Seit Jahren beobachte ich mit Sorge, wie sich die Mediennutzung von Kindern entwickelt – als Mutter und als Medienwissenschaftlerin. Der Auslöser, das Buch zu schreiben, war der Facebook-Post eines Lehrers, der in Norwegen viral ging. Er hatte seine Schüler gebeten, ihm zu berichten, wie lang sie täglich online sind und vor allem, was sie sich im Netz so alles ansehen.“
Mit einem für Lunde erschreckenden Ergebnis: Kinder und Jugendliche verbringen im Schnitt sechs bis sieben Stunden am Handy – pro Tag! Und „ziehen sich“ dabei einen Mix aus Gewalt, Mord und Pornografie rein. „Das hat mich so wütend gemacht. Wütend, weil wir diese Form der Mediennutzung zugelassen haben, ohne sie zu hinterfragen. Weil wir erlaubt haben, dass unseren Kindern kostbare Zeit gestohlen wird. Es hat viel zu lange gedauert, bis wir angefangen haben, die Digitalisierung kritisch zu betrachten“, kritisiert die Medienwissenschaftlerin gegenüber dem Spiegel und erklärt: „Das finde ich auch deshalb absurd, weil wir in Norwegen sonst sehr darauf bedacht sind, unsere Kinder zu schützen. Wir haben Sicherheitsvorschriften für Spielplätze, Altersgrenzen für Alkohol, Autofahren, Pornografie. Aber in der virtuellen Welt haben wir die Türen weit geöffnet. Diese Naivität macht mich fassungslos.“
Aber was ist die Lösung? Wie kann man seine Kinder besser schützen? Und wie geht die Bestsellerautorin als Mutter mit dem Digitalisierung-Wahnsinn in ihren eigenen vier Wänden um? "Mit Regulierung, ein wunderbares Wort. Meine Söhne sind 15, 17 und 21 Jahre alt, ich war immer die ,strenge Mutter'. Wir haben versucht, die Bildschirmzeit über Apps wie „Family Link“ zu steuern. Aber es kann nicht sein, dass Familien eigenverantwortlich einen Umgang finden müssen. Wir brauchen eine gesellschaftliche Lösung. Wir brauchen staatliche Regulierung, zum Beispiel in Form von Altersgrenzen.“
Und das dringend, sehr dringend, wie die Medienwissenschaftlerin in ihrem neuem Buch schreibt, für das sie rund 200 Studien ausgewertet hat – und deren Ergebnisse mehr als erschreckend sind. Dazu Lunde: „Immer mehr Kinder in Norwegen sind psychisch belastet, leiden an Essstörungen oder Depressionen. 85 Prozent unserer Teenager schlafen zu wenig. Sie bewegen sich zu wenig, sie spielen weniger draußen als noch vor zehn Jahren; sie sind häufiger allein. Alarmierend finde ich auch, wie stark das Verständnis für Demokratie in Norwegen abnimmt. Wissen ist fragmentiert und personalisiert, Algorithmen geben uns mehr von dem, was wir bereits mögen, das ist ein demokratisches Problem. Wir verlieren eine gemeinsame Basis.“
Und zu guter Letzt: Wenn Norwegen jahrelang auf dem Irrweg war, was rät die Bestsellerautorin, Medienwissenschaftler und Mutter denn nun anderen Ländern? Was können wir in Österreich und Deutschland anders machen? „Eigentlich nur eines: Schaut nicht nach Norwegen! Macht nicht die gleichen Fehler wie wir! Nutzt Schulbücher aus Papier, lasst Kinder mit der Hand schreiben, trainiert die Konzentration. Lasst sie gemeinsam lernen, in Gesprächen, die von Lehrern geleitet werden. Und lasst sie unbedingt echte Bücher lesen. Macht einen Schritt zurück zur inhaltsorientierten Schule. Kinder müssen Dinge mit den Händen begreifen. Es geht darum, dass sie in der Welt sind – und nicht nur deren Replik betrachten.“
Bestsellerautorin Maja Lunde wurde am 30. Juli 1975 in Bislet, einem Stadtviertel in der norwegischen Hauptstadt Oslo, geboren. Sie ist Medienwissenschaftlerin und arbeitet als Schriftstellerin und Drehbuchautorin. 2015 veröffentlichte sie den Roman „Die Geschichte der Bienen“ als ersten Teil eines „Klimaquartetts“, in dem sie die potenziellen Folgen der Klimakrise beschreibt. Am 15. Oktober ist ihr neues Sachbuch „Rettet die Kindheit“ auf Deutsch erschienen.