Der Berliner Kommunikationswissenschaftler und Publizist Norbert Bolz steht im Zentrum eines ungewöhnlichen Ermittlungsverfahrens. Am Donnerstagmorgen durchsuchte die Polizei seine Wohnung – wegen eines ironischen Kommentars auf X.

„Hausdurchsuchung wegen eines Posts“, schrieb der 72-jährige Publizist anschließend selbst auf der Plattform. Die Beamten seien freundlich gewesen, hätten ihm aber geraten, künftig vorsichtiger zu sein. „Das werde ich tun und nur noch über Bäume sprechen“, kommentierte Bolz sarkastisch.

Anlass: ein Witz über die „woke“-Bewegung

Hintergrund der Ermittlungen ist ein Beitrag der taz, in dem es hieß: „AfD-Verbot und Höcke-Petition: Deutschland erwacht.“ Bolz hatte diesen Artikel geteilt und ironisch ergänzt: „Gute Übersetzung von ‘woke‘: Deutschland erwache!“

Gegenüber der Welt erklärte er später, er habe das für eine harmlose Satire gehalten. „Ich dachte: Das ist eigentlich eine gute Definition von ‘woke‘ – also ‘erwacht‘. Ich habe mir nicht vorstellen können, dass man das missverstehen kann.“ Seine Absicht sei gewesen, auf die ideologische Überdrehtheit der Gegenwart hinzuweisen: „Die Verrücktheit hat die Seiten gewechselt.“

Statement

Staatsanwalt ermittelt wegen NS-Parole

Doch für die Berliner Staatsanwaltschaft ist die Sache offenbar kein Scherz. Sie wirft Bolz vor, eine verbotene nationalsozialistische Parole verwendet zu haben – konkret „Deutschland, erwache!“, eine Zeile aus dem sogenannten „Sturmlied“ der NSDAP. Das könnte als Verstoß gegen Paragraf 86a Strafgesetzbuch gewertet werden: Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

Die Hausdurchsuchung erfolgte auf Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten. Unklar bleibt, was die Ermittler dabei zu finden hofften – den Tweet, der seit Monaten öffentlich abrufbar ist, oder möglicherweise Notizen, Geräte oder Metadaten. Kritiker sehen darin eine Machtdemonstration: Wenn eine ironische Bemerkung zu einem Polizeieinsatz führt, verschwimmen die Grenzen zwischen Strafverfolgung und Gesinnungskontrolle.

Laut übereinstimmenden Berichten war auch die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI) des Bundeskriminalamts in den Vorgang involviert. Diese 2022 geschaffene Behörde arbeitet eng mit zivilgesellschaftlichen Organisationen wie der Meldestelle „REspect!“ zusammen und hat sich zum Ziel gesetzt, „konsequent gegen Hass und Hetze im Netz“ vorzugehen. Ob sie den Bolz-Beitrag gemeldet und damit das Verfahren ausgelöst hat, ist bislang offen.

Vergleich zu Großbritannien

Der Fall erinnert an Entwicklungen in Großbritannien, wo in den vergangenen Jahren mehrfach Bürger wegen Social-Media-Beiträgen Besuch von der Polizei erhielten. Dort führen bereits vermeintlich „transfeindliche“ oder „beleidigende“ Tweets zu Vorladungen, Hausdurchsuchungen oder polizeilichen „Ermahnungen“. Kritiker warnen seit längerem vor einer „Verpolizeilichung der Meinungsfreiheit“ – ein Trend, der nun auch in Deutschland Gestalt annimmt.

Auf Nachfrage deutscher Journalisten teilte die Berliner Staatsanwaltschaft mit, man äußere sich derzeit nicht – „zum Schutz der Ermittlungen“. Norbert Bolz, bis 2018 Professor für Medienwissenschaft an der Freien Universität Berlin, ist seit seiner Emeritierung als Publizist aktiv und regelmäßig in konservativen Medien zu Gast.