Was für eine knallharte Zurechtweisung von Außenministerin Beate Meinl-Reisinger und einigen ihrer NEOS-Abgeordneten, die immer wieder davon träumen, dass Österreich sich dem Nordatlantikpakt (NATO) anschließen sollte: Laut einer aktuellen Untersuchung des „Austrian Foreign Policy Panel Project“ (AFP3) der Universität Innsbruck in Zusammenarbeit mit dem Außenministerium sehen 80 Prozent der Österreicher die Neutralität weiterhin als festen Bestandteil der nationalen Identität.

Am kommenden Sonntag jährt sich ein zentrales Kapitel österreichischer Nachkriegsgeschichte: Vor genau 70 Jahren, im Oktober 1955, beschloss der Nationalrat das Verfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität Österreichs. Ein Beschluss, der das Selbstverständnis der Zweiten Republik wie kaum ein anderer geprägt hat – und bis heute große Emotionen weckt.

Die dazu aktuelle Untersuchung des „Austrian Foreign Policy Panel Project“ (AFP3) der Universität Innsbruck liefert dazu neue Daten: 80 Prozent der Österreicher sehen die Neutralität weiterhin als festen Bestandteil der nationalen Identität. Besonders stark ausgeprägt ist diese Haltung bei älteren Generationen: 88 Prozent der über 60-Jährigen halten sie für ein zentrales Identitätsmerkmal. Unter den 18- bis 29-jährigen Staatsbürgern sind es nur noch 65 Prozent – ein möglicher Hinweis darauf, dass die emotionale Bindung an das historische Konzept der Neutralität sinkt. Oder aber, dass viele jungen Österreicher über die Hintergründe, warum es zur Neutralität gekommen ist, zu wenig wissen?

Neutralität sei auch ein "emotionaler Anker"

Politikwissenschafter und Neutralitätsforscher Martin Senn erklärt diesen Unterschied mit der veränderten gesellschaftlichen Wahrnehmung: „Die Neutralität war in den letzten 20 Jahren kaum Thema im öffentlichen Diskurs. Sie ist jedoch tief in der Gründungserzählung der Zweiten Republik verankert – sie erzählt, wer wir nach 1945 und 1955 sein wollten, und auch, wer wir nicht sein wollten.“ Für Senn ist die Neutralität ein „politischer Mythos“, der Orientierung bietet und in Zeiten globaler Unsicherheit einen emotionalen Anker für die Bevölkerung darstellt.

Doch während eine stabile Mehrheit von 59 Prozent die Neutralität in ihrer aktuellen Form beibehalten möchte, wächst gleichzeitig die Zahl jener, die sie modernisieren oder neu definieren wollen. 36 Prozent wünschen sich eine „umfassendere“ Neutralität, nur 13 Prozent würden einen NATO-Beitritt befürworten.

Zuletzt sorgten Aussagen der NEOS-Vorsitzenden Beate Meinl-Reisinger für heftige Debatten. Sie hatte die Neutralität als „politisches Auslaufmodell“ bezeichnet und gefordert, Österreich müsse sich in der europäischen Sicherheitsarchitektur „ehrlich positionieren“. Damit sprach sie eine Minderheitenmeinung aus, löste aber scharfe Reaktionen aus – sowohl von Regierungspolitikern als auch von Verfassungsexperten. Kritiker warfen ihr vor, mit solchen Aussagen das außenpolitische Gleichgewicht und das Vertrauen der Bevölkerung zu gefährden.

NEOS-Politiker wollen Anschluss an die NATO

Während Meinl-Reisinger und andere NEOS-Politiker argumentieren, "die Neutralität schütze Österreich nicht", sehen viele Bürger darin nach wie vor ein Erfolgsmodell: eine politische Haltung, die Österreich Stabilität, internationale Glaubwürdigkeit und Frieden gebracht habe.

Senn warnt davor, die Neutralität vorschnell infrage zu stellen. Statt über ein „Ja oder Nein“ zu diskutieren, müsse man überlegen, wie man sie „fit für das 21. Jahrhundert“ machen könne. Denn eines zeigt seine Forschung klar: Der Glaube an die Neutralität als Teil der österreichischen Identität ist 70 Jahre nach ihrer Einführung lebendiger, als so mancher Politiker vermutet - oder möchte.