Gesundheitsexpertin warnt: "Als Kollektiv sind wir in einem Erschöpfungszustand“

Wir sind ständig müde, fühlen uns ausgebrannt. Und NEIN, das ist kein subjektives Empfinden. Die Präsidentin des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie bestätigt, was wir alle fühlen: Als Kollektiv sind wir in einem Erschöpfungszustand“.

Warum sind wir alle ständig so erschöpft und fühlen uns tagein tagaus wie in einem Hamsterrad? Sind wir wirklich alle überfordert und stehen ständig unter Strom? Barbara Haid, die Präsidentin des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie, sagt ganz klar Ja – und spricht sogar von einem „kollektiven Erschöpfungszustand“.

Aber warum? Was hat sich in den vergangenen Jahren so dramatisch verändert? Und wie kommen wir aus unserer Erschöpfung wieder heraus? Im Interview mit dem Standard erklärt Barbara Haid: „Der Druck, beruflich wie privat zu performen, ist enorm gestiegen. Viele Menschen sind rund um die Uhr erreichbar. Die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben verschwimmen zunehmend. Und auch die Freizeit, die ja eigentlich zur Erholung dienen sollte, ist oft streng durchgetaktet“.

Dazu kommt die aktuelle Weltlage. Kriege, drohende Rezessionen, Pandemien – eine Krise jagt die nächste. Und wir alle mittendrin. Expertin Barbara Haid nennt es "Grundrauschen an Unsicherheit" in der Gesellschaft. Denn wer weiß, was als Nächstes kommt?

Das Ergebnis: Die Amygdala, also jener Bereich im Gehirn, der bei Gefahr aktiviert wird, ist im Dauereinsatz. "Das ist toxischer Stress", erklärt Haid. Und die Folgen davon sind oft  schwerwiegend. Viele Betroffene klagen über massive Schlafstörungen, selbst die Wochenenden werden nicht mehr als erholsam wahrgenommen. Ein Teufelskreis, der oft in Burnouts und Depressionen endet.

Extrem belastend: Die Situation am Arbeitsmarkt

Extrem belastend sei für viele auch die aktuelle Situation am Arbeitsmarkt. Immer mehr Unternehmen müssen sparen, Mitarbeiter werden reihenweise gekündigt, der Druck steigt, der Spagat zwischen Job und Familie wird immer größer, Ängste und Sorgen wachsen vielen über den Kopf. Befeuert wird das Ganze auch noch durch die rasante Entwicklung rund um KI. Ein „zusätzlicher Stressfaktor“ wie Lena Marie Glaser, Autorin und Expertin für New Work, bestätigt. Denn während die einen von Arbeitserleichterung sprechen, kämpfen die anderen mit der Angst, nicht mehr mithalten zu können. Und die ist auch nicht unbegründet. Laut Lena Maria Glaser gibt es mittlerweile viele Unternehmen, in denen erwartet wird, dass sich die Beschäftigten zusätzlich zum Arbeitsstress noch KI-Kompetenzen aneignen. Dadurch entsteht für viele der Druck, dass die Arbeit künftig noch schneller gehen muss. Die Maschine macht es ja vor. 

Aber wie kommen wir denn aus unserem Hamsterrad, aus unserer „kollektiven Erschöpfung“ wieder heraus? Wie die weltweiten Krisen, Job-Ängste und familiären Sorgen ausblenden und wieder zu mehr Ruhe finden? Dafür gibt es natürlich kein Patentrezept, aber zumindest Hilfsmittel. Für Psychotherapeuten Barbara Haid ist Bewegung ein Weg aus der Erschöpfung. Und zwar in in Form von Spaziergängen, idealerweise im Grünen, bei denen man die Umgebung ganz bewusst wahrnimmt und in sich hineinhört. So bekomme man "Boden unter den Füßen", erklärt Haid.

Dieser Meinung ist auch Sportmediziner Robert Fritz. Für ihn ist regelmäßige Bewegung „ein echter Hack für mehr Energie im Alltag“. "Das ist wie eine Dusche für das Hirn", erklärt Fritz. Bei einem Spaziergang oder beim Treten am Ergometer baut der Körper nämlich das Stresshormon Cortisol ab, das sich über den Tag angesammelt hat – der Effekt ist sofort spürbar: Man schläft besser.

Ganz wichtig – und da sind sich mittlerweile viele Experten einig – sind echte und bewusste Pausen ganz ohne Handy. Wichtig sei dabei auch ein digitaler Detox in Form von Zeiten, in denen bewusst auf Social Media verzichtet wird.