Trumps Sanktionen gegen die russischen Ölriesen Lukoil und Rosneft sollen sogar seine engen Mitarbeiter überrascht haben. Das ist nicht verwunderlich, insbesondere wenn es sich um Mitarbeiter handelt, die für Russland und die Ukraine zuständig sind. Die Sanktionen tragen nicht zu einer Einigung mit Russland bei, bringen die Ukraine nicht näher an den Frieden und stehen somit im Widerspruch zu Trumps großem und wohl auch aufrichtig gemeinten Ziel, den Konflikt zu beenden.

Das eigentliche Ziel der Sanktionen ist jedoch möglicherweise nicht Russland, sondern Europa. Die Sanktionen sind ein weiterer Schritt zur wirtschaftlichen Kolonialisierung Europas und untergraben dessen Ambitionen, in der sich abzeichnenden globalen Multipolarität ein eigenständiger europäischer Pol zu werden. Europa wird von den USA auch in Bezug auf China unter denselben Druck gesetzt.

Trumps Kehrtwende und die Zerrissenheit der Brüsseler Eliten

Der Teil des Brüsseler Europas, der zumindest teilweise den Kontakt zur Realität bewahrt hat, muss sich nach Trumps antirussischer Kehrtwende zumindest zerrissen fühlen. Sicherlich begrüßen sie offiziell, dass Trump das geplante Treffen mit Putin in Budapest auf unbestimmte Zeit verschiebt.

Ihnen gefiel es nicht, dass ohne sie entschieden werden sollte und dass sie plötzlich den Krieg beenden könnten, in den die Brüsseler so viel investiert haben und der es ihnen ermöglicht, unter dem Vorwand der Bedrohung durch Russland Wahlen zu manipulieren, die Opposition zu vernichten, die EU zu zentralisieren und Freiheiten abzubauen.

Außerdem denken sich die Brüsseler selbst ständig neue Sanktionen aus und fordern Trump auf, mehr Druck auf Russland auszuüben. In gewisser Weise haben sie bekommen, was sie wollten.

Andererseits sind die amerikanischen Sanktionen deutlich strenger, als es die Brüsseler selbst wünschen würden. Würden sie konsequent durchgesetzt und würde Europa sofort seine Handels- und Kapitalbeziehungen zu beiden russischen Unternehmen unterbrechen, würden die europäischen Volkswirtschaften wahrscheinlich zusammenbrechen.

Das Risiko eines Energie-Armageddons in Europa

Es geht nicht nur um Öl Lieferungen, sondern um die gesamte Energieinfrastruktur. Das betrifft nicht nur Ungarn, das in Energiefragen seit langem am lautesten gegen die Sanktionspolitik protestiert. Im Gegenteil, auch Länder, die bisher alle Sanktionen unterstützt haben, könnten ins Visier geraten.

Die deutsche Tochtergesellschaft von Rosneft, Rosneft Deutschland, besitzt die wichtigsten Raffinerien des Landes: 54 Prozent der Raffinerie in Schwedt (mit einer Tageskapazität von 230.000 Barrel), 24 Prozent der Raffinerie in Miro (310.000 Barrel pro Tag) und 28,6 Prozent der Raffinerie in Vohburg-Neustadt (215.000 Barrel pro Tag). In Finnland besitzt Lukoil über seine Tochtergesellschaft Teboil 400 Tankstellen, was etwa einem Fünftel des finnischen Netzes entspricht.

Russische Unternehmen kontrollieren auch Raffinerien in den Niederlanden (Flushing: 185.000 Barrel pro Tag), Bulgarien (Burgas: 115.000 Barrel pro Tag) und Rumänien (Petrobrazi: 48.000 Barrel pro Tag). Die amerikanischen Sanktionen könnten für sie den Verlust von Lieferanten, Kunden und Bankkonten bedeuten – also den wirtschaftlichen Tod.

Ein Energie-Armageddon droht Europa vorerst wohl nicht. Finanzminister Merz versicherte, dass Rosneft Deutschland von den Sanktionen ausgenommen werde. Die Deutschen haben sich bereits vor einiger Zeit mit den Russen auf eine rechtliche Lösung geeinigt, wonach das Unternehmen unter deutsche Verwaltung gestellt wurde, was es trotz russischer Eigentümerschaft nach Vereinbarung mit Trump vor Sanktionen schützen könnte. Mit etwas gutem Willen wird es möglich sein, auch in anderen Fällen eine ähnliche Lösung zu finden.

Es hängt jedoch von Trumps gutem Willen ab. Dieser wird sowohl für den weiteren Betrieb der Raffinerien als auch für einen möglichen Verkauf erforderlich sein, da die Einnahmen zwangsläufig an das sanktionierte Russland gehen werden. Mit ihrem Drängen auf eine harte Haltung der USA gegenüber Russland haben die Brüsseler ein amerikanisches Veto gegen den Betrieb eines wesentlichen Teils ihrer Energieinfrastruktur herbeigeführt.

Europa im amerikanischen Handelskrieg mit China

Während die Europäer in Bezug auf Russland von den USA das bekommen, was sie sich unüberlegt gewünscht haben, sieht es in Bezug auf China anders aus, wenn auch mit dem gleichen Ergebnis. Entgegen ihren eigentlichen Interessen und teilweise auch gegen ihren Willen lassen sie sich in den amerikanisch-chinesischen Handelskrieg hineinziehen. Das jüngste Beispiel sind die Ereignisse um das chinesische Unternehmen Nexperia mit Sitz in den Niederlanden.

Ursprünglich handelte es sich um die Halbleitersparte des niederländischen Konzerns Philips, die vor sieben Jahren vom chinesischen Giganten Wintech aufgekauft wurde. Heute gehört dieser globale Hersteller von preiswerten Chips mit mehreren Tausend Mitarbeitern in den Niederlanden, Deutschland und Großbritannien zu den wichtigsten Zulieferern europäischer Automobilhersteller und Hersteller von Unterhaltungselektronik.

Ende September beschloss die niederländische Regierung, das chinesische Privatunternehmen zu übernehmen. Sie machte von einem Gesetz aus der Zeit des Kalten Krieges über die Verpflichtung zur Lieferung unverzichtbarer Güter Gebrauch, erwirkte eine gerichtliche Entscheidung, suspendierte den chinesischen Generaldirektor und ernannte einen eigenen Verwalter.

Dieser äußerst ungewöhnliche Schritt in einem Land, das ansonsten das Privateigentum als höchsten und unantastbaren Wert betrachtet, wurde mit der Notwendigkeit begründet, die Versorgung der niederländischen und europäischen Industrie mit Chips sicherzustellen. Angeblich kam sie zu dem Verdacht, dass die Chinesen die Produktion aus Europa verlagern und die Lieferungen an europäische Abnehmer einschränken wollten.

Aber warum sollte Nexperia den europäischen Markt verlassen wollen? Die Antwort liegt nicht in Peking, sondern in Washington. Die Muttergesellschaft Wintech steht seit Dezember letzten Jahres auf der amerikanischen Sanktionsliste risikobehafteter Unternehmen, mit denen amerikanische Firmen aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht einfach so Handel treiben dürfen.

Die USA und China entscheiden darüber, ob Europa Chips bekommt

Seit Ende September eskaliert der Handelsstreit mit China, und die Amerikaner weiten ihre Restriktionen auch auf Tochtergesellschaften aus. Sie erklären der niederländischen Regierung, dass, wenn ein Vertreter von Wintech an der Spitze von Nexperia bleibt, auch sie von den Sanktionen betroffen sein wird, was nicht nur den Verlust des amerikanischen Marktes, sondern auch den Verlust wichtiger Lieferanten bedeuten würde. Unter dem Druck der USA übernimmt die Regierung daraufhin die Kontrolle.Der russische Präsident Wladimir Putin, der chinesische Präsident Xi Jinping, der nordkoreanische Führer Kim Jong-un und andere Weltpolitiker kommen am Mittwoch, dem 3. September 2025, zu einer Militärparade anlässlich des 80. Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkriegs in Peking. Foto: TASR/AP

Die Chinesen ließen die Übernahme durch die Niederlande jedoch nicht ohne Reaktion. Das chinesische Werk Nexperia in der Provinz Guangdong, in dem 70 Prozent der weltweiten Produktion des Unternehmens fertiggestellt werden, stellte die Lieferungen fertiger Chips nach Europa ein. Volkswagen und anderen Herstellern droht eine Einschränkung der Produktion. Mit anderen Worten: Die Amerikaner drohten den Niederländern mit der Einstellung der Chip-Lieferungen, die Niederländer fügten sich, was eine Reaktion Chinas hervorrief, das die Lieferungen einstellte.

Der Streit geht über die Niederlande hinaus. Wichtige europäische Hersteller sind von den Lieferungen von Nexperia abhängig. Deshalb verhandelt heute die Europäische Kommission mit der chinesischen Regierung. In Brüssel weiß man jedoch auch, dass Vereinbarungen mit den Chinesen nur mit dem guten Willen Washingtons gelten werden.

Das europäische Dilemma: Welche Rolle soll Europa in einer multipolaren Welt spielen?

Europa hat in der sich abzeichnenden multipolaren Weltordnung zwei Möglichkeiten: entweder einen eigenen Pol oder die Teilnahme am amerikanischen Pol.

Der erste Weg bedeutet Unabhängigkeit, erkauft durch harte Auseinandersetzungen mit Washington: die Gefahr eines Handelskrieges, den Abzug amerikanischer Soldaten aus Europa, das Ende der NATO. Freiheit ist nicht umsonst zu haben. Aber sie gibt den Europäern die Möglichkeit, über Wirtschaft und Sicherheit nach ihren eigenen Bedürfnissen zu entscheiden.

Europa schlägt vorerst den zweiten, bequemeren Weg ein: Es überlässt Washington die wichtigen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Entscheidungen. Washington entscheidet jedoch nach amerikanischen, nicht nach europäischen Interessen. Damit gewinnt Europa weder Sicherheit noch Wohlstand – und verliert am Ende auch noch seinen Komfort.