Das aktuelle Verständnis der Wirtschaft basiert auf einer Synthese zweier gegensätzlicher Ansätze. Der erste ist mathematischer Natur. Er stützt sich auf Ökonometrie und verschiedene Modelle, die versuchen, menschliches Verhalten vorherzusagen und zu erklären. Dieser Ansatz ist jedoch unzureichend. Der Mensch ist kein rein rationales Wesen, sein Verhalten wird stark von Glauben und Werten beeinflusst. Und genau dieser Glaube prägt auch sein wirtschaftliches Handeln.
Die Wirtschaftswissenschaft versucht daher, einen Ausgleich zwischen zwei unvereinbaren Prinzipien zu finden. Auf der einen Seite steht die Determination, auf der anderen die Freiheit. Dieser Widerspruch spiegelt die klassische philosophische Frage nach dem Wesen des Menschen wider. Der Mensch wird weitgehend von den Umständen bestimmt, und dennoch bleibt in ihm ein Raum, der sich allen Determinierungen widersetzt. Der gleiche Widerspruch spiegelt sich auch im Wesen der Wirtschaft selbst wider – und letztlich auch im Nobelpreis, der sie symbolisiert.
Im 20. Jahrhundert strebte die Wirtschaftswissenschaft nach wissenschaftlichem Status. Sie wollte genauso ernst genommen werden wie die Physik oder die Biologie. Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften wurde erst 1969 ins Leben gerufen, also 68 Jahre später als die anderen Nobelpreise.
Sein Ursprung ist jedoch ungewöhnlich. Er wurde von der schwedischen Zentralbank ins Leben gerufen, die bis heute den Geldteil des Preises finanziert. Formal wird er von der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften verliehen. Der Entscheidungsprozess wirkt also akademisch, aber der Ursprung des Preises selbst liegt außerhalb des akademischen Bereichs – in den Händen der Zentralbank.
Dieser Widerspruch beeinflusst auch die Ausrichtung des Preises selbst. Unter den Preisträgern überwiegen Theoretiker der Effizienz, des Wachstums und des Marktgleichgewichts, also Prinzipien, die die Währungsordnung unangetastet lassen. Der Preis, der sich zur wissenschaftlichen Unabhängigkeit bekennt, stammt jedoch von einer Institution, deren Aufgabe es ist, das Vertrauen in die Stabilität des Geldes und in die von den Märkten erwartete Ordnung aufrechtzuerhalten.
Von Tinbergen bis Hayek
Die Chronologie der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften zeigt vor allem, wie diese multidisziplinäre Wissenschaft sich selbst wahrnimmt. Die ersten Preisträger waren 1969 Ragnar Frisch und Jan Tinbergen für die Entwicklung und Anwendung dynamischer Modelle zur Analyse wirtschaftlicher Prozesse.
Diese ersten Preisträger gaben der Wirtschaftswissenschaft die Richtung einer strengen wissenschaftlichen Theorie vor. Tinbergen war einer der wichtigsten Pioniere der Ökonometrie. Ein Jahr später wurde der Ökonom Paul Samuelson ausgezeichnet. Er sah sie als ein universelles System von Gesetzen, das analog zur Physik sehr ähnlich ist.
Ein Wendepunkt in dieser wissenschaftlichen Ökonomie und in der Herangehensweise an den Preis kam 1974, als Friedrich August Hayek und Gunnar Myrdal gemeinsam ausgezeichnet wurden. Jeder dieser Ökonomen ging von einem völlig unterschiedlichen Ansatz in der Ökonomie aus.
Myrdal war ein schwedischer Sozialdemokrat, Befürworter staatlicher Eingriffe, Gleichheit und sozialer Planung. Hayek hingegen vertrat den liberalen Glauben an eine spontane Marktordnung. Die gemeinsame Auszeichnung dieser beiden Gegensätze zeigte, dass die Wirtschaftswissenschaft nicht nur eine objektive Wissenschaft ist, sondern auch ein Feld ideologischer Auseinandersetzungen. Ein Ökonom kann nämlich nicht von seinen Überzeugungen getrennt werden – jedes Modell beinhaltet eine bestimmte Vorstellung davon, wie die Welt funktionieren sollte.
Nach der Auszeichnung des Ökonomen und Philosophen Hayek neigte die akademische Welt jedoch wieder zum mathematischen Verständnis der Wirtschaft. Sie begann erneut, Sicherheit in Modellen und Gleichungen zu suchen. Auch diese Vision der Wirtschaftswissenschaft als rein theoretische Disziplin hielt nicht lange.
In den letzten Jahren hat sich die Wirtschaftswissenschaft in eine andere Richtung entwickelt – hin zu empirischen Daten, Feldversuchen und der Methodik kausaler Zusammenhänge. Tatsächlich wurde damit nur die alte epistemologische Frage wieder aufgeworfen: Was ist eigentlich der Ausgangspunkt des Wissens – das Modell oder die Erfahrung?
Hier kommen wir vielleicht zum interessantesten Punkt der gesamten Suche nach dem Sinn des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften. In einer idealen Welt sollte ein Ökonom jemand sein, der die wirtschaftliche Lage hervorragend analysieren und praktische Lösungen finden kann. Die Entwicklung der Preisverleihung bestätigt uns in dieser Sichtweise.
Die Wirtschaftswissenschaft sollte nicht nur eine abstrakte Wissenschaft sein, sondern auch eine praktische Disziplin, die in der Wirtschaftsführung von Staaten oder Unternehmen zum Tragen kommen sollte. Wie gelingt es also den Preisträgern, die meist Akademiker sind, die Welt zu verändern?
Das Land der drei Nobelpreisträger und des Nullwachstums
Neben den USA und Großbritannien ist Frankreich das Land, das sich durch die Anzahl der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften auszeichnet. In letzter Zeit haben gleich drei französische Ökonomen diesen Preis erhalten: Jean Tirole, Esther Duflo und Philippe Aghion. Letzterer wurde 2025 als letzter Preisträger für seine Theorie des nachhaltigen Wirtschaftswachstums durch kreative Zerstörung ausgezeichnet.
Alle drei französischen Ökonomen haben sehr präzise Forschungen durchgeführt, die darüber hinaus sehr praktisch anwendbar sind. Tirole suchte nach einem Gleichgewicht zwischen Marktmacht und staatlicher Regulierung. Duflo untersuchte, wie konkrete Maßnahmen die Armut lindern können. Aghion zeigt, dass Wachstum das Ergebnis ständiger Innovation und kreativer Zerstörung ist.
Die französischen Ökonomen suchen also nach einem Weg, wie man nach dem Vorbild amerikanischer Technologieunternehmen innovativ sein und gleichzeitig das nordische Sozial- und Wirtschaftsmodell schützen kann.
Die französische Wirtschaftswissenschaft scheint also ein Laboratorium für das Beste des ökonomischen Denkens zu sein. Wenn die Leistungsfähigkeit des BIP und die Verwaltung der Staatsfinanzen von der Anzahl der Preisträger abhängen würden, wäre Frankreich eine Wirtschaftsmacht, die einen ständigen Wirtschaftsaufschwung erlebt.
Die Realität sieht jedoch anders aus. Frankreich befindet sich in einer tiefen Krise, die vor allem durch ein falsches Verständnis der wirtschaftlichen Prinzipien verursacht wurde. Ein verschuldeter Staat, wachsende Ungleichheiten, stagnierendes Wachstum und anhaltende Spannungen zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor zeigen, dass selbst Länder mit der höchsten theoretischen Leistungsfähigkeit ihre praktischen Widersprüche nicht lösen können.
Es ist ein Paradoxon, das den Charakter der Wirtschaftswissenschaft selbst auf den Punkt bringt: eine Disziplin, die die Welt beschreiben kann, sie aber nur schwer verändert. Vielleicht liegt genau darin der Reiz und die Schwäche der Wirtschaftswissenschaft. Sie kann messen, erklären und bewerten, aber nur selten sich selbst verstehen. Und so erhalten Ökonomen Nobelpreise, während ihre Nationen lernen, mit den paradoxen wirtschaftlichen Folgen ihrer Theorien zu leben.