Stadtbild: Mehr als 1000 Anzeigen gegen Kanzler Merz wegen Volksverhetzung
Die umstrittene Äußerung fiel bei einer Pressekonferenz im brandenburgischen Staatskanzlei-Saal. Auf die Frage eines Journalisten sagte Friedrich Merz: „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.“ Damit meinte er Ausländer ohne Bleiberecht in Deutschland – und löste damit eine heftige Welle der Empörung aus.
Seitdem ist die Berliner Staatsanwaltschaft mit einer wahren Flut an Strafanzeigen konfrontiert. Nach eigenen Angaben gingen mehr als 1000 Anzeigen wegen des Verdachts der Volksverhetzung ein. Darunter befinden sich laut Medienberichten auch mehrere Parteigliederungen von Grünen und Linken. Eine genaue Zuordnung sei angesichts der Masse derzeit nicht möglich, erklärte ein Sprecher der Behörde. Der Sachverhalt werde geprüft, ein Anfangsverdacht sei bisher nicht festgestellt worden.
Kritiker warfen dem Kanzler vor, seine Wortwahl erinnere an die Rhetorik der AfD. Vertreter der Grünen und Linken sprachen von „rassistischer Stimmungsmache“. Auch aus Teilen der CDU selbst kamen mahnende Stimmen. Merz selbst äußerte sich nach der Debatte nur knapp und erklärte, seine Aussage sei bewusst „falsch interpretiert“ worden.
Unterstützung erhielt der Kanzler von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, der sagte, viele hätten Merz „absichtlich missverstanden“. Die Union wolle über reale Probleme sprechen, etwa über Rückführungen und illegale Migration, nicht über Begrifflichkeiten.
Strafrechtliche Hürde bleibt hoch
Nach § 130 Strafgesetzbuch ist Volksverhetzung nur dann erfüllt, wenn jemand zum Hass gegen Bevölkerungsgruppen aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen aufruft. Allein die Kritik an gesellschaftlichen Entwicklungen genügt in der Regel nicht.
Schon in der Vergangenheit musste sich die Staatsanwaltschaft mit ähnlichen Anzeigen gegen Merz befassen – etwa nach seiner Aussage über ukrainische Flüchtlinge 2023. In keinem dieser Fälle kam es zu Ermittlungen. Auch jetzt gilt es als unwahrscheinlich, dass die juristische Prüfung zu einem Verfahren führt.
Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft betonte gegenüber Medien: „Der Sachverhalt wird aufgrund der Strafanzeigen geprüft.“ Wie lange diese Prüfung dauern wird, blieb offen.
Anzeige per Mausklick
Im Internet kursieren inzwischen vorgefertigte Musterschreiben, mit denen Bürger unkompliziert Anzeige gegen den Kanzler erstatten können. Eine Berliner Rechtsanwältin hatte das Formular veröffentlicht und zur Nutzung aufgerufen. Das erklärt, warum die Zahl der Anzeigen in kürzester Zeit vierstellig wurde.
In Justizkreisen wird der Vorgang dennoch mit Gelassenheit gesehen. Die Flut solcher Verfahren sei mittlerweile zu einem politischen Ritual geworden – besonders bei emotional aufgeladenen Debatten über Migration, Integration oder Sprache. Juristisch jedoch, so ein Strafrechtler gegenüber dem „Tagesspiegel“, sei die Schwelle für Volksverhetzung „deutlich höher, als viele glauben“.
Ob die Berliner Staatsanwaltschaft tatsächlich ein Ermittlungsverfahren einleitet, soll in den kommenden Wochen entschieden werden. Bis dahin bleibt der Satz des Kanzlers ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr jedes Wort in der deutschen Migrationsdebatte inzwischen vermint ist.