Grüner Politiker über Stadtbild: Wer nicht aussieht wie ein Wikinger, muss Angst haben
Der Grünen-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Baden-Württemberg, Cem Özdemir, hat sich in der anhaltenden Diskussion um das Stadtbild in deutschen Städten deutlich positioniert. Anders als viele in seiner Partei sieht er Probleme nicht nur bei rechtsextremen Tendenzen oder Vorurteilen gegen Migranten, sondern auch innerhalb bestimmter Einwanderermilieus selbst.
„Es gibt migrantisch geprägte Milieus, in denen sich archaische und patriarchale Strukturen verfestigen, die insbesondere für Frauen eine Bedrohung sind“, sagte Özdemir dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Diese Aussage ist insofern bemerkenswert, als sie aus einer Partei kommt, die in migrationspolitischen Fragen meist zurückhaltender formuliert.
Gleichzeitig betonte Özdemir, auch Menschen mit Migrationshintergrund seien in manchen Regionen Deutschlands selbst gefährdet: „Es gibt Orte, an denen sich Menschen mit Migrationshintergrund unsicher fühlen, weil sie nicht so aussehen, als würden sie direkt von den Wikingern abstammen.“ Seine Forderung: Jeder solle sich überall in Deutschland sicher fühlen können – in Zwickau ebenso wie rund um den Frankfurter Hauptbahnhof.
Kritik an der vereinfachten Debatte
Özdemir störte vor allem der Ton, in dem die Debatte geführt wird. „Die einen verschließen die Augen und tun so, als hätten wir gar kein Problem, und auf der anderen Seite haben wir Leute, die den Eindruck erwecken, als seien Menschen mit Migrationshintergrund für jedes Problem in diesem Land verantwortlich“, so der Grünen-Politiker. Weder das eine noch das andere helfe weiter.
Er sprach sich dafür aus, konkrete Probleme anzugehen, statt sie zu ideologisieren. „Wenn sich Leute im öffentlichen Raum unsicher fühlen, dann haben wir uns darum zu kümmern – parteiübergreifend, wenn wir nicht noch mehr Menschen an die AfD verlieren wollen.“ Dazu gehöre auch, sich mit Themen wie „toxischer Männlichkeit“ und Kriminalität als „Lifestyle“ zu beschäftigen.
Der ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister warnte davor, Sorgen und Ängste der Bevölkerung als bloße Wahrnehmungsprobleme abzutun. „Belehrungen kommen gegen Erfahrungen nicht an“, sagte er. Politik müsse auf Erfahrungen reagieren, nicht auf Wunschbilder.
Seitenhieb auf Kanzler Merz
Auch Bundeskanzler Friedrich Merz bekam Kritik ab. „Ein Kanzler sollte nicht so tun, als ob er nur teilnehmender Beobachter ist. Er führt das Land“, sagte Özdemir. Wenn Merz Probleme lediglich beschreibe, ohne Lösungen anzubieten, entstehe der Eindruck, als sei dafür allein die AfD zuständig. „Die Äußerung hat dazu geführt, dass sich Leute angesprochen fühlen, von denen Herr Merz später sagen musste, sie nicht gemeint zu haben – Menschen, die wir dringend brauchen in unserem Land, die sich reinhängen.“
Özdemir versucht damit, eine Brücke zwischen sicherheitspolitischer Realitätswahrnehmung und gesellschaftlichem Zusammenhalt zu schlagen. Sein Appell: Weg von den Schlagworten, hin zu einer ehrlichen, differenzierten Diskussion – über Integrationsdefizite ebenso wie über das Sicherheitsgefühl aller Bürger.