Europa braucht heute mehr Mut als Richtlinien

Der alte Kontinent verfügt zwar nicht über alle strategischen Rohstoffe, aber aus geologischer Sicht ist er kein unbeschriebenes Blatt.

Das illustrative Foto wurde mit Hilfe künstlicher Intelligenz erstellt. Foto: Statement / Midjourney

Das illustrative Foto wurde mit Hilfe künstlicher Intelligenz erstellt. Foto: Statement / Midjourney

Die Zeitzeugen in Westeuropa erinnern sich noch gut an die Ölkrise von 1973. Die französische Regierung reagierte darauf mit einer Kampagne unter dem Motto „La France n’a pas de pétrole, mais elle a des idées“, also „Frankreich hat kein Öl, aber es hat Ideen“.

Und tatsächlich hatte Paris damals eine hervorragende Idee: den Bau eines Netzes von Kernkraftwerken, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern. Es blieb nicht bei Worten. Zwischen 1977 und 1990 baute Frankreich 54 Reaktoren und veränderte innerhalb einer Generation seine Energiebilanz und seine Position in Europa.

Heute steht der Kontinent vor einer anderen Herausforderung. Es geht nicht mehr um den Mangel an Öl, sondern um den Mangel an seltenen Metallen. Europa verfügt zwar nicht über alle Metalle, die es benötigt, aber es verfügt über beträchtliche Vorkommen an Lithium, Nickel und Seltenen Erden. Die Frage ist jedoch, ob es noch immer über das gleiche Selbstbewusstsein, die technischen Fähigkeiten und den Mut verfügt, Ideen in Taten umzusetzen, die es ihm ermöglichen würden, sich von der Abhängigkeit von den Großmächten zu befreien – denn diese haben den Kampf um Rohstoffe zu einer Säule ihrer Wirtschafts- und Außenpolitik gemacht.

Europäische bürokratische Lösung

Der Kampf um seltene Metalle begann nicht erst mit dem Einzug Donald Trumps ins Weiße Haus Anfang dieses Jahres. Mit seiner Forderung, Grönland zu übernehmen, hat Trump ein klares Signal gesendet, dass seltene Metalle ein strategischer Rohstoff sind, um den geopolitische Kämpfe geführt werden.

Tatsächlich war dieses Thema in Fachkreisen nicht nur in den USA, sondern auch in Europa bekannt. So schrieb beispielsweise der französische Autor Guillaume Pitron bereits 2018 das Buch La guerre des métaux rares (Der Krieg um seltene Metalle: Das verborgene Gesicht der energetischen und digitalen Transformation).

In dem Buch, das in mehr als zehn Sprachen übersetzt wurde, beschreibt der Autor vor allem die strategischen Interessen Chinas beim Aufbau einer Bergbau- und Verarbeitungsindustrie. Die Schlussfolgerung war für Europa sehr hart, da Pitron das damalige Desinteresse der europäischen Politiker an diesem Thema hervorhob.

Wir mussten mehr als sechs Jahre warten, bis Europa zu handeln begann. Brüssel tut das, was es am besten kann. Es sieht den Weg zur Lösung des gesamten Problems in der Bürokratie. In der Europäischen Union trat am 23. Mai 2024 ein Gesetz mit dem Titel „Critical Raw Materials Act” (Gesetz über kritische Rohstoffe) in Kraft. Sein Ziel ist es, sicherzustellen, dass die EU Zugang zu ausreichenden Mengen an Rohstoffen hat, die für ihre Wirtschaft, Energieversorgung und Verteidigung von entscheidender Bedeutung sind.

Nach Angaben aus dem Jahr 2022 ist die Abhängigkeit der EU in diesem Bereich relativ groß. China liefert 86 Prozent der weltweiten Produktion von Seltenen Metallen, wobei Europa 98 Prozent seiner Seltenen Erden aus diesem Land importiert. 93 Prozent der Borate stammen aus der Türkei, 85 Prozent des Niobs aus Brasilien und Russland hält 40 Prozent der weltweiten Palladiumproduktion. Es ist daher gut, dass sich die EU die Frage der Unabhängigkeit stellt – zwar spät, aber immerhin.

Brüssel unterscheidet zwischen „kritischen” und „strategischen” Rohstoffen. Die ersten bilden eine lange Liste aller Metalle, die Europa benötigt und nur schwer beschaffen kann. Die zweiten sind eine Untergruppe der kritischen Rohstoffe.

Strategische Rohstoffe sind diejenigen, ohne die es keine Batterien, Turbinen oder Satelliten gibt. Dazu gehören Elemente wie Lithium, Kobalt, Kupfer, Titan oder Seltene Erden. Es handelt sich um genau 17 Elemente. Diese Liste ist jedoch nicht endgültig und kann bei Bedarf erweitert werden. Es wird vor allem für die Brüsseler Beamten eine Herausforderung sein, diese Liste ständig auf dem neuesten Stand zu halten.

Projekte, die sich auf die Gewinnung und Verarbeitung strategischer Rohstoffe konzentrieren, sollen gemäß dem europäischen Rahmen bei Genehmigungsverfahren Vorrang erhalten, einen leichteren Zugang zu Finanzmitteln haben und den Status eines Projekts von öffentlichem Interesse erhalten.

Diese Änderungen sind ein Schritt in die richtige Richtung, aber es bleibt die Frage, ob sie ausreichen werden. Die Verkürzung der Genehmigungsfrist allein kann zwar den Start von Projekten beschleunigen, aber im Kontext der gesamten Vorbereitung eines Bergwerks ist dies nur ein kleiner Teil des Weges. Von der Entdeckung einer Lagerstätte bis zum Beginn des kommerziellen Abbaus vergehen in der Regel zehn bis fünfzehn Jahre, manchmal sogar mehr.

Unrealistische Pläne nach dem Vorbild kommunistischer Fünfjahrespläne

Hier kommen wir zu dem unrealistischen Teil des Critical Raw Materials Act. Nach dem Vorbild kommunistischer Fünfjahrespläne werden darin auch konkrete Ziele festgelegt. Der Plan lautet wie folgt: Zehn Prozent des Verbrauchs an strategischen Rohstoffen sollten direkt in Europa abgebaut werden, vierzig Prozent sollten in europäischen Werken verarbeitet oder raffiniert werden und ein Viertel sollte aus dem Recycling stammen. Gleichzeitig gilt, dass kein Drittland mehr als 65 Prozent der Importe eines strategischen Rohstoffs decken darf.

Das Ziel, die Abhängigkeit von einem Land auf weniger als 65 Prozent zu begrenzen, klingt in einem politischen Dokument gut, aber die Welt der seltenen Metalle ist viel konzentrierter, als Brüssel zugibt. Bei den meisten Rohstoffen gibt es zwei bis drei große Akteure, wobei China nicht nur den Abbau, sondern auch die Verarbeitung dominiert.

Ein gutes Beispiel ist beispielsweise Graphit. Fast 100 Prozent des in Batterien verwendeten raffinierten Graphits stammt aus China. Diese Zahl bis 2030 unter 65 Prozent zu senken, ist mehr als utopisch. Eine Diversifizierung ist daher strategisch notwendig, aber physisch und wirtschaftlich kaum realisierbar innerhalb des Zeitrahmens, den sich die EU gesetzt hat.

Zinn dominiert die Lithiumvorräte

Es ist ziemlich naiv zu glauben, dass die Beamten in Brüssel die praktischen und technischen Schwierigkeiten dieses Problems lösen werden. Europa verfügt zwar nicht über alle strategischen Rohstoffe auf seinem Territorium, aber aus geologischer Sicht ist es kein unbeschriebenes Blatt.

Der alte Kontinent verfügt über bestätigte Vorkommen an Lithium, Seltenen Erden, Wolfram und Zinn, also Metallen, die für die grüne Transformation von entscheidender Bedeutung sind.

Das größte Lithiumvorkommen Europas befindet sich in Cínovec in der Tschechischen Republik. Schätzungen zufolge liegen hier mehr als sieben Millionen Tonnen Lithiumcarbonatäquivalent vor. Das Vorkommen hat das Potenzial, einen erheblichen Teil des europäischen Bedarfs an Batterien zu decken. Bedeutende Vorkommen befinden sich auch in Mina do Barroso in Portugal. Das dritte Schlüsselprojekt ist Keliber in Finnland, wo bereits mit dem Bau einer Mine und einer Verarbeitungsanlage begonnen wurde.

Ein typisches Beispiel dafür, wie lang der Weg von der Erkundung bis zur Realisierung ist, ist das tschechische Cínovec. Bereits 2008 wurden dort erste geologische Untersuchungen durchgeführt. Im Jahr 2014 erhielt das australische Unternehmen European Metals Holdings die Genehmigung für weitere, tiefergehende Untersuchungen.

Anschließend kam es 2017 zum Lithium-Skandal. Die damalige Oppositionspartei ANO kritisierte die tschechische Regierung dafür, dass sie nationales Vermögen ins Ausland verkauft habe. Daraufhin bezog die Regierung den halbstaatlichen Energiekonzern ČEZ in das gesamte Projekt ein. In diesem Jahr wurde das Projekt dank des Critical Raw Materials Act als strategisch wichtig eingestuft. Trotz dieser Hilfe wird die Tschechische Republik jedoch erst zwischen 2028 und 2030 mit der ersten Lithiumförderung rechnen können.

Die Entscheidung Frankreichs, Kernkraftwerke zu bauen, war ein Akt des Mutes, nicht der Verwaltung. Europa braucht heute dasselbe: mehr Mut als Richtlinien. Andernfalls wird seine Zukunft wieder von jemand anderem ausgebeutet werden.