Die U5 in Wien: 4,4 Milliarden für keine U-Bahn

Die Stadt hat seit 2016 rund 4,4 Milliarden Euro in eine U-Bahn gesteckt, die bis heute nicht fährt. Was man für dieses Geld stattdessen alles bekommen hätte.

Foto: Michael Nguyen/NurPhoto via Getty Images

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Die Zahl ist so groß, dass sie fast abstrakt wirkt: 4,4 Milliarden Euro hat Wien seit 2016 für den Ausbau von U2 und U5 ausgegeben – ohne dass bis heute ein einziger neuer U-Bahn-Meter in Betrieb gegangen wäre. Ein Projekt, das seit einem Jahrzehnt als verkehrspolitische Zukunft Wiens verkauft wird, verschiebt sich weiter in die Zukunft. Gebaut wird, ja – doch das Ergebnis bleibt vorerst Theorie. Die Stadt investiert Milliarden in eine U-Bahn, die erst 2030, 2032 oder 2035 Wirkung entfalten wird.

Was man stattdessen bekommen hätte

11.000 Einfamilienhäusern in Österreich
Bei einem Durchschnittspreis von 400.000 Euro pro Haus könnte man mit dem bisherigen U2/U5-Budget rund 11.000 Einfamilienhäuser finanzieren. Das ist mehr als die gesamte Bebauungsdichte mancher niederösterreichischer Städte. Mit anderen Worten: Man hätte Stadtteile Wiens vollständig neu bebauen können – inklusive Gärten, Garagen und Infrastruktur.

Drei Mal das Krankenhaus Nord
Das skandalumwitterte KH Nord kostete am Ende rund 1,4 Milliarden Euro. Für die bereits verbauten 4,4 Milliarden hätte Wien dieses Großspital nahezu dreimal schaffen können. Eine komplette Krankenhauslandschaft – und das in einer Stadt, die regelmäßig über ausgelastete Gesundheitsstrukturen klagt.

Zwei komplette Fuhrparkerneuerungen der Wiener Linien
Eine umfassende Modernisierung des gesamten Fuhrparks – von U-Bahn-Zügen über Straßenbahnen bis zu Autobussen – würde laut internen Schätzungen rund zwei Milliarden Euro kosten. Mit 4,4 Milliarden Euro könnte Wien den gesamten Bestand beinahe zweimal austauschen. Anders gesagt: Die Stadt hätte sich binnen neun Jahren ein vollständig neues Öffi-Fuhrwerk leisten können – und das gleich doppelt.

Statement

Wie es zu dieser Situation kam

Die jüngste Verschiebung war der sichtbarste, aber nicht der erste Einschnitt. Wien hat die Eröffnung der U5 nun offiziell auf 2030 gelegt. Die ursprünglich für 2026 geplante Inbetriebnahme verschiebt sich damit um vier Jahre. Gleichzeitig wird der Beginn der zweiten Baustufe nach hinten gestaffelt: Die U5 nach Hernals beginnt erst 2028, die U2 Richtung Wienerberg sogar erst 2030. Der gesamte Netzumbau rutscht damit tief in die Mitte der 2030er Jahre.

Die offizielle Lesart lautet: Optimierte Bauabfolge, budgetäre Entlastung, keine Unterbrechung. Tatsächlich spart die Stadt vor allem eines: den Betrieb. Eine U-Bahn, die nicht fährt, erzeugt zunächst keine laufenden Kosten – und ist politisch leichter hinauszuschieben als andere Budgetposten. Genau das macht den Schritt so bemerkenswert: Wien spart nicht bei Förderungstöpfen oder Verwaltungsprogrammen, sondern bei einem Projekt, das es selbst seit Jahren als Kern der eigenen Stadtentwicklung bezeichnet.

Auch konzeptionell wurden Abstriche gemacht. Die vorübergehende gemeinsame Führung von U2 und U5 zwischen Karlsplatz und Rathaus, jahrelang als Übergangsmodell vorgesehen, entfällt. Die Wiener Linien erklärten, der Vorteil sei nicht groß genug, um eine Doppelführung zu rechtfertigen. Was bleibt, ist weniger Flexibilität und ein engeres Zeitfenster für den Betrieb – wiederum mit Signalwirkung auf das gesamte Netz.

Die FPÖ spricht von einem „verdeckten Baustopp“ und befürchtet, dass die U5-Station Hernals am Ende überhaupt nicht kommt. Für FPÖ-Wien-Chef Dominik Nepp ist das U2/U5-Projekt „ein Milliardengrab, das seit Jahren Fortschritt simuliert, aber keinen liefert“.

Die Grünen sprechen von einem schweren Schaden für Wiens Mobilitätsziele und warnen vor einem Vertrauensverlust in die Stadtpolitik. „Der Ausbau wird verzögert, die Kosten steigen, die Zukunft schrumpft“, lautet die Zusammenfassung der Parteiführung.

Die ÖVP sieht einen strukturellen Fehlschlag. Landesparteiobmann Markus Figl nennt die Verschiebung einen „Rückschritt auf Schiene“, der Standort und Lebensqualität gleichermaßen gefährde. Infrastruktur dieser Größenordnung könne man nicht nach Belieben verschieben.

Statement

Was bisher geschah

Die U5 wurde 2014 angekündigt und sollte ursprünglich 2024 in Betrieb gehen. Bereits ab 2018 zeigten sich Ausschreibungsprobleme, Preissteigerungen und geologische Herausforderungen. Die Eröffnung wurde erst auf 2025, dann auf 2026 verschoben. Die U2 sollte 2026 verlängert werden, später 2027, dann 2028 und zuletzt 2030. Auch der Kostenrahmen entwickelte sich dynamisch: 2020 wurden 2,1 Milliarden Euro für die erste Baustufe genannt, mittlerweile liegt dieser bei rund 2,4 Milliarden. Der Stadtrechnungshof schätzte 2021 das gesamte Linienkreuz schon auf über sechs Milliarden Euro.

Mit der aktuellen Entscheidung verschiebt Wien nicht nur Termine, sondern das gesamte Projektgefüge. Gebaut wird weiterhin, aber in einer Geschwindigkeit, die die Fertigstellung weit in die Zukunft schiebt. Die Stadt hat sich eine U-Bahn geleistet, die teuer ist, ambitioniert – und lange Zeit unsichtbar bleiben wird.