Der bekannte Militär-Experte Oberst Markus Reisner analysiert in seinem aktuellen Beitrag für das österreichische Bundesheer die aktuelle Lage und beantwortet vier zentrale Fragen: Was sind die wesentlichen Inhalte des Plans? Trägt er eine prorussische Handschrift? Wird die Ukraine zwischen den Großmächten zerrieben? Welche Optionen bleiben Europa?

Die Kernbereiche des 28 Punkte umfassenden „Friedensplans“ betreffen die Frage der zukünftigen Staatlichkeit der Ukraine, den möglichen Verlust weiteren Territoriums im Donbass und die Frage einer künftigen Sicherheitsvorsorge. Die noch nicht durch Russland eroberten Gebiete sollen zu einer nicht näher definierten „demilitarisierten Zone“ werden. Zu den Sicherheitsfragen zählen der Ausschluss einer NATO-Mitgliedschaft sowie das Verbot der Stationierung von NATO-Truppen. Ebenso vorgesehen sind robuste US-Sicherheitsgarantien sowie ein möglicher EU-Beitritt der Ukraine. Weitere Punkte betreffen Kompensations- und Entschädigungsleistungen, Straffreiheit für alle Beteiligten, Familienzusammenführungen, gegenseitige Anerkennung und Unterstützung von Minderheiten. Auch der Wiederaufbau, die Herstellung von Pipelineverbindungen sowie die Nutzung von Energie- und Rohstoffen und die Rolle Europas werden behandelt.

Das zentrale Element des Plans sind die unter Punkt 5 und 10 vorgesehenen bzw. garantierten US-Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Diese gelten als entscheidende Voraussetzung der Ukraine zur Beendigung des russischen Aggressionskriegs. Die Garantien sollen das leisten, was das Budapester Memorandum von 1994 nicht erreichen konnte. Damals traten USA, UK u. a. als Garantiemächte für die territoriale Unversehrtheit der Ukraine auf. Die neuen Garantien sollen eine bewaffnete Auseinandersetzung mit Russland verhindern und die Souveränität der Ukraine dauerhaft absichern. Ohne diese Zusicherung ist davon auszugehen, dass Russland weiter an seinem Ziel der Unterwerfung der Ukraine festhalten wird.

Wenn die Ukraine eine Rakete auf Moskau abfeuert ...

Die Bedingungen zur Aufrechterhaltung der Garantien unterscheiden sich für Kiew und Moskau deutlich. Für Russland ist lediglich vage von einem „neuerlichen Angriff“ die Rede. Bei der Ukraine hingegen würde schon ein Raketenabschuss auf Moskau oder St. Petersburg ausreichen, um die Garantien platzen zu lassen. Im ungünstigsten Fall drängt sich der historische Vergleich mit Finnland im „Winterkrieg“ 1939/40 auf. Finnland erzielte damals zunächst überraschende Erfolge gegen die einmarschierende Sowjetarmee, musste aber schließlich große Gebiete abgeben und im März 1940 einen Friedensvertrag annehmen. In den Jahren 1941 bis 1944 kam es im „Fortsetzungskrieg“ zu einer erneuten Konfrontation. Finnland konnte sich jedoch langfristig behaupten und ist heute NATO-Mitglied.

Unmittelbar nach Bekanntwerden des „28-Punkte-Friedensplans“ wurde in Europa und den USA Kritik laut. Viele Beobachter stellten fest, dass die Formulierungen eine „prorussische Handschrift“ tragen würden. So heißt es etwa in Punkt 3: „Es wird erwartet (sic!), dass Russland nicht in Nachbarländer einmarschiert und die NATO nicht weiter expandiert.“ Auch Punkt 10 wirkt auffällig: „Wenn die Ukraine ohne Grund eine Rakete (sic!) auf Moskau oder St. Petersburg abfeuert, wird die Sicherheitsgarantie als ungültig betrachtet.“ Diese Aussagen erscheinen sehr im Sinne Russlands oder direkt aus dessen Perspektive formuliert.

US-Außenminister Rubio stellte jedoch klar, dass der Vorschlag aus den USA stamme. Die Kritik wies er mit dem Hinweis zurück, dass der Plan auf Beiträgen beider Seiten beruhe – sowohl der russischen als auch der ukrainischen.

Auch US-Präsident Trump äußerte sich mehrfach. Er erklärte, dass die Ukraine den Plan akzeptieren müsse. Andernfalls würden die USA die Lieferung von Waffen und Aufklärungsdaten einstellen. In späteren Aussagen relativierte er diese Position wieder und sprach von einer „Verhandlungsbasis“. Gleichzeitig warf er der Ukraine Undankbarkeit vor bzw, machte er Europa mitverantwortlich für die Fortdauer des Kriegs: "Die ukrainische ‚Führung‘ hat keinerlei Dankbarkeit für unsere Bemühungen gezeigt, und Europa kauft weiterhin Öl aus Russland.“

Russische Offizielle zeigten sich sichtlich zufrieden mit der westlichen Uneinigkeit. Die Wirkung ukrainischer Drohnenangriffe auf russische Infrastruktur und die hohen Verluste an der Front traten in der internationalen Berichterstattung in den Hintergrund. Stattdessen dominierten Berichte über Differenzen innerhalb des Westens.

Auch vorteilhafte Elemente für die Ukraine

Der Plan erweckt auf den ersten Blick den Eindruck eines Diktatfriedens oder gar einer Kapitulation. Doch die 28 Punkte enthalten auch für die Ukraine vorteilhafte Elemente. So bekräftigt Punkt 1 die Souveränität der Ukraine. Zusammen mit den US-Sicherheitsgarantien stellt das ein starkes Bekenntnis zur ukrainischen Staatlichkeit dar. Sollte ein abgewandelter Plan umgesetzt werden, deutet vieles darauf hin, dass sowohl Russland als auch die USA auf einen Zustand wie vor 2014 zurückwollen. Ziel wäre dann eine nachhaltige Entspannung. Ob dies gelingt, hängt aber stark von der Bereitschaft aller Beteiligten ab. Kritiker betonen zu Recht, dass dies auf Kosten der Ukraine geschehen könnte.

Die Ukraine steht unter massivem Druck. Russland macht an allen Fronten langsam, aber stetig Fortschritte. Gleichzeitig herrscht ein akuter Personalmangel an der Front. Zudem leidet das Land unter einer schweren Energiekrise, ausgelöst durch russische Luftangriffe. Eine Korruptionsaffäre um veruntreute Mittel, die für die Energieinfrastruktur bestimmt waren, verschärft die Lage.

Präsident Selenskyj warnte bereits: „Wir sind aus Stahl, aber selbst das stärkste Metall kann brechen.“ Er beschrieb die Entscheidungslage der Ukraine so: „… entweder nachteilige Bedingungen zu akzeptieren oder den Verlust eines wichtigen Partners zu riskieren – oder einen extrem harten Winter und weitere Risiken in Kauf nehmen zu müssen.“

Seine Botschaft an die Bevölkerung ist klar: Wird der Plan abgelehnt, könnte sich die Lage drastisch verschlechtern. Sollte sich die USA zurückziehen, und Europa militärisch nicht einspringen können, droht eine Eskalation – sowohl für die Ukraine als auch global.

Europa bleibt von den USA sicherheitspolitisch abhängig

Die Ukraine kann den Krieg nicht alleine wenden. Europa wiederum ist nicht bereit, die Ukraine bedingungslos zu unterstützen. Die europäische Rüstungsindustrie wächst zu langsam. Schon das Bekanntwerden des Plans führte zu Kursverlusten bei den europäischen Rüstungsaktien – ein deutliches Zeichen fehlender strategischer Aufrüstung.

Donald Trump hält an seiner Linie fest. Er möchte den aus seiner Sicht „sinnlosen Krieg“ beenden und keinesfalls "all in" gehen. Vor allem fürchtet er eine Konfrontation mit der Atommacht Russland. Sein Fokus liegt klar auf dem Machtkampf mit China. Gleichzeitig verfolgt er das Ziel, sich schadlos zu halten resp. Europa zahlen zu lassen. Punkt 10 des Plans, in dem von einer Garantie der USA die Rede ist, fordert von europäischen Staaten 100 Milliarden US-Dollar an Wiederaufbauhilfe. Insgesamt 50 % der Erlöse aus eingefrorenem russischen Vermögen sollen an die Vereinigten Staaten gehen.

Europa fordert eine Änderung: Die Gelder sollen eingefroren bleiben, bis Russland für die Kriegsschäden aufkommt. Als Alternative wurde ein eigener, europäischer „24-Punkte-Friedensplan“ vorgelegt.

So bitter es ist: Europa bleibt sicherheitspolitisch von den USA abhängig. Ohne US-Raketenabwehr in Polen und Rumänien gibt es keinen wirksamen Schutz gegen russische Mittelstreckenraketen. Auch nach vier Kriegsjahren sind die Europäer nicht in der Lage, die Ukraine selbstständig zu unterstützen oder ihre eigene Sicherheit zu garantieren.

Dass Europa nicht in die Erstellung des „28-Punkte-Friedensplans“ eingebunden war, zeigt, welchen Stellenwert es für die USA und Russland hat. Aktuell blickt die Welt nach Genf. Dort laufen erste Gespräche über den Plan. Erste Reaktionen aus der ukrainischen Delegation deuten auf vorsichtigen Optimismus hin. Die ursprünglich von Präsident Trump gesetzte Frist bis Donnerstag wurde inzwischen relativiert.

US-Außenminister Marco Rubio betonte gestern, dass ein baldiger Abschluss wünschenswert sei – "ob dieser am Donnerstag, Freitag oder erst kommende Woche erreicht werde, sei angesichts des anhaltenden Sterbens zweitrangig. Ziel bleibe es, den Krieg so rasch wie möglich zu beenden – und eine neue Sicherheitsordnung für Europa zu schaffen".