Wolfgang Münchau ist in seiner Funktion als leitender Europa-Kolumnist der Financial Times eine der prominentesten journalistischen Stimmen in europäischen Finanz- und Wirtschaftskreisen. Ende letzten Jahres veröffentlichte er sein Buch über die deutsche Wirtschaft mit dem treffenden Titel "Kaput - Das Ende des deutschen Wunders", das sich in Übersetzungen auf dem ganzen Kontinent rasch verbreitete.
Münchau beschreibt die heutige deutsche Wirtschaft als Gefangene des Nachkriegsmodells. Der Preis für den erfolgreichen wirtschaftlichen Neustart des kriegszerstörten Landes war die Herausbildung eines korporatistischen Systems. In ihm besteht seit Jahrzehnten eine stillschweigende Allianz zwischen der heimischen Großindustrie, dem Finanzsystem, das vor allem durch politisch kontrollierte öffentliche Regionalbanken repräsentiert wird, und der Politik.
Das Ergebnis dieser Allianz ist eine neomerkantilistische Praxispolitik, deren Ziel es seit vielen Jahren ist, die Position als Exportweltmeister zu halten, und in der deutschen Industrieprodukten von Banken und Politikern der Weg geebnet wird. Später kamen die Expansion deutscher Produzenten nach China und die inzwischen berüchtigte Energiestrategie der Bindung an russisches Gas hinzu.
Rückstand bei neuen Industrien
Doch was in den 1970er oder 1980er Jahren ausreichte, reicht heute nicht mehr aus. Deutschland hat den Anschluss an die digitale Revolution verpasst: Es hat keinen Wettbewerbsvorteil bei Software, Hardware, Telekommunikation oder künstlicher Intelligenz und liegt oft peinlich weit hinter der Weltspitze zurück.
Innovation wird von alten Industriegiganten erwartet und die Start-up-Kultur ist verkümmert. Immerhin gibt es in Deutschland im laufenden Jahr so viele "Einhörner" (das sind Start-ups mit einem Wert von über einer Milliarde Dollar) wie im zehnmal kleineren Israel. Im Vergleich zu den USA sind es sogar zwanzigmal weniger.
Hinzu kommt das Wachstum Chinas, wo chinesische Hersteller in der ersten Phase begonnen haben, deutsche Investoren im Inland zu verdrängen und sie nach und nach auch auf dem internationalen Markt herauszufordern. Covid, die Energiekrise, der Krieg in der Ukraine und die Zollkriege haben die taumelnde Wirtschaft nur noch weiter ins Stolpern gebracht.
Parallelen zu China
Der Titel des Buches drückt den Pessimismus von Münchau aus. Der Verbesserungsvorschlag des Autors hat viele Punkte, ist aber nicht umfassend genug. Deutschland sollte sich von seinem Exportwahn lösen, mehr in digitale Technologien investieren und sich um gut ausgebildete Arbeitskräfte bemühen.
Die Wirtschaftspolitik sollte nicht defensiv sein und sich darauf konzentrieren, die Bedingungen für das Wachstum neuer Unternehmen zu schaffen, anstatt ständig die im Niedergang befindliche alte Industrie zu unterstützen und zu schützen. Beispiele dafür sind Dänemark mit seinem flexiblen Arbeitsmarkt und die Niederlande mit einer viel stärker diversifizierten Wirtschaft. Diese Dinge sind leicht aufzuschreiben, aber schwieriger in konkrete Politik umzusetzen.
Das Buch hat eine starke Botschaft - die Reform der deutschen Schuldenbremse. Dies ist eine sehr verbreitete Empfehlung, die auch andere Autoren an Deutschland richten. Aber würde eine Lockerung der Schuldenbremse die Wirtschaft wirklich bremsen?
Wir können eine historische Parallele zwischen der deutschen Geschichte und dem heutigen China finden. Chinas Automobilsektor wächst dank der Zusammenarbeit zwischen den Banken und der örtlichen Kommunistischen Partei rasant. Die Partei hat beschlossen, dass China eine Supermacht im Automobilsektor werden soll, so wie sie zuvor beschlossen hatte, dass es eine Supermacht im Bau- oder Stahlsektor werden soll.
Dies geschah um den Preis eines riesigen versunkenen Kapitals, dessen langfristige Rendite keineswegs sicher ist. Heute haben die chinesischen Bau- und Stahlunternehmen mit der gleichen geringen Nachfrage zu kämpfen wie die deutschen Automobilhersteller. Im Gegensatz zu Deutschland verfügt China jedoch nicht über einen riesigen Wohlfahrtsstaat, so dass es im Wettbewerb der Geldvermehrung langfristig im Vorteil ist.
Das Öffnen der Schuldenbremse bedeutet nicht automatisch, dass höhere Defizite und Schulden zu den richtigen Investitionen führen, die die Produktivität des Landes steigern. Es kann auch sein, dass mit den zusätzlichen Mitteln genau das gemacht wird, was Münchau kritisiert - mehr oder weniger verdeckt überholte Geschäftsmodelle zu subventionieren und Reformen aufzuschieben. Frankreich oder Italien haben die fiskalischen Schleusen weit geöffnet und haben dafür keine leistungsfähigen und global wettbewerbsfähigen Volkswirtschaften bekommen.
Deutschland ist kein Kaputt. Es verfügt immer noch über großes privates und öffentliches Kapital, es hat Know-how in mehreren einzigartigen Bereichen, es ist in der Lage, Talente anzuziehen, und seine Haushaltslage ist im europäischen Vergleich solide. Der beste erste Schritt ist daher, den Wirtschaftspessimismus abzuschütteln.
