Es gibt kein besseres Symbol für extravagante Korruption oder den Realitätsverlust von Politikern und Beamten als eine goldene Toilette. Dieses Symbol ist so stark, dass es praktisch innerhalb von Sekunden die gesamte Öffentlichkeit mobilisieren kann.
Die goldene Toilette bedarf keiner weiteren Erklärung. In der Ukraine hat die Verbreitung dieses Symbols zudem Tradition. Während der Proteste auf dem Maidan im Jahr 2014 verbreitete sich sehr schnell das Bild, dass Präsident Viktor Janukowitsch in seiner Villa in der Residenz Mezhigoria eine goldene Toilette hat.
Diese Information verbreitete sich wie ein Lauffeuer und kehrte die öffentliche Meinung gegen Janukowitsch. Dieser Fall könnte jedoch als Beispiel für Desinformation in die Geschichtsbücher eingehen. In Janukowitschs Villa in Mezhigoria gab es nämlich keine goldene Toilette. Seine Villa war zwar luxuriös eingerichtet, aber es gab kein Symbol der Dekadenz.
Auf eine echte goldene Toilette mussten die Ukrainer bis 2025 warten. Als die Antikorruptionsbehörde die Operation Midas startete, behaupteten die Ermittler laut Guardian, dass die Wohnung von Timur Mindich, einem langjährigen Bekannten von Präsident Selenskyj, „mit einer goldenen Toilette geschmückt” sei.
Diesmal handelte es sich nicht um ein Meme, sondern um ein Detail, das perfekt in die Geschichte über die alte und neue Korruption in der Ukraine passte. Wie im Fall Janukowitsch kann dieses kleine Detail vor allem die ukrainische öffentliche Meinung umkehren. Dies ist kein Fall wie jeder andere.
Ein Skandal, der bis an die Spitze reicht
Im November 2025 gaben die ukrainischen Antikorruptionsbehörden (NABU und SAPO) bekannt, dass sie ein Bestechungssystem im Wert von rund 100 Millionen Dollar im staatlichen Kernkraftunternehmen Enerhoatom aufgedeckt hätten. Meldungen über Korruption sind in der Ukraine jedoch keine Überraschung, zumal es sich um ein ganz klassisches Korruptionssystem handelte, bei dem die Lieferanten 10 bis 15 Prozent jedes Auftrags für den reibungslosen Ablauf der Auftragsabwicklung abführen mussten.
Überraschend war etwas anderes: Der Skandal erreichte die höchsten Ebenen der Politik. Der Drahtzieher war angeblich der bereits erwähnte Timur Minditsch, dem es in letzter Minute gelang, nach Israel zu fliehen. Nach Bekanntwerden des Skandals forderte Selenskyj den Rücktritt von Justizminister Herman Haluschenko und Energieministerin Svitlana Hrynchukowa.
Es ist jedoch anzunehmen, dass diese beiden Minister nur als typische Sündenböcke dienten. In den Akten taucht nämlich noch eine mysteriöse Figur namens „Alibaba“ auf, die darauf hindeutet, dass das System im Energiesektor nur die Spitze des Eisbergs war. Die Korruption hatte ein viel größeres Ausmaß. Laut dem Oppositionsabgeordneten Jaroslav Železniak verbirgt sich hinter „Alibaba“ der Chef des Präsidialamtes Andrij Jermak. Mit anderen Worten: Die Tentakel der Korruptionskrake reichen bis ins Präsidialamt.
Der Skandal bedroht somit direkt Präsident Wolodymyr Selenskyj. Dieser setzte im Sommer 2025 ein Gesetz durch, das die Befugnisse der NABU und anderer Antikorruptionsbehörden einschränken sollte. Selenskyjs Team argumentierte, dass es sich um Maßnahmen zur Stärkung des Kampfes gegen den russischen Einfluss in den Institutionen handele.
Dieses Argument ist jedoch schon aufgrund seiner Natur unlogisch: Eine Schwächung der Kontrollmechanismen kann keinesfalls als Stärkung der Sicherheit ausgegeben werden. Eher im Gegenteil. Vor dem Hintergrund der späteren Aufdeckung der Korruption um Mindič kann das plötzliche Bestreben, das Gesetz zu ändern, als Versuch interpretiert werden, die Untersuchung des gesamten Skandals zu verhindern.
Schwächung der Korruptionsbekämpfer
Das ist jedoch noch nicht das Schlimmste. Sollte sich tatsächlich herausstellen, dass Jermak in korrupte Machenschaften verwickelt ist, wäre das ein ernstes Problem für Selenskyj. Schon der Skandal um Mindič ist für den Präsidenten ein großes Problem. Entweder wusste er von den korrupten Machenschaften, da er angesichts ihrer langjährigen engen Freundschaft den Luxus, mit dem sich Mindič während des Krieges mit Russland umgab, kaum übersehen konnte. In diesem Fall macht ihn seine Toleranz gegenüber Korruption zum Mittäter.
Oder er wusste nichts davon und ignorierte es völlig, was bedeutet, dass der ukrainische Präsident völlig realitätsfern lebt. Wie auch immer wir diese Frage beantworten, das Ansehen von Präsident Selenskyj bei seinen Partnern, insbesondere bei seinen westlichen Unterstützern, hat erheblich gelitten. Darüber hinaus verschlechtert der aktuelle Skandal die Verhandlungsposition der Ukraine im Friedensprozess.
Das größte Problem ist, dass jede ungebremste Korruption das Heldentum der ukrainischen Soldaten mehr entwertet als jeder Feind auf dem Schlachtfeld.
Korruption, die das Heldentum der Soldaten entwertet
Das Hauptargument der Befürworter der Ukraine lautet, dass es in diesem Staat schon immer Korruption gegeben habe. Es wäre naiv zu glauben, dass die russische Invasion dieses strukturelle Problem der ukrainischen Gesellschaft lösen könnte. Im Jahr 2024 vergab die Organisation Transparency International der Ukraine 35 von 100 Punkten im Korruptionswahrnehmungsindex, womit das Land unter 180 bewerteten Staaten den 105. Platz belegte. Diese Organisation war gegenüber der Ukraine noch relativ gnädig, denn Ungarn hat eine Punktzahl von 41. Die Situation beider Länder ist natürlich nicht vergleichbar.
Die Europäische Union hat in ihrem internen Dokument die Gesamtunterstützung für die Ukraine durch europäische Institutionen und Mitgliedstaaten zum 10. Juli 2025 auf 164 Milliarden Euro beziffert. Wenn die Korruptionsverluste aus ukrainischen öffentlichen Aufträgen, die üblicherweise auf 10 bis 30 Prozent geschätzt werden, auch für ausländische Hilfe gelten würden, könnten die theoretischen Verluste aus der bisherigen europäischen Unterstützung 16 bis 49 Milliarden Euro betragen.
Die Operation Midas, bei der es „nur” um 100 Millionen Dollar geht, erscheint im Kontext der potenziellen Gesamtkorruption daher als Kleinigkeit. Entscheidend ist jedoch, dass die Aufdeckung zu einem Zeitpunkt erfolgt, an dem der Westen müde ist, die Militärhilfe zurückgeht und die Geduld der Steuerzahler schwindet.
Die wirtschaftliche Unterstützung der Ukraine wird vor allem in den drei stärksten europäischen Ländern – Großbritannien, Deutschland und Frankreich – immer schwieriger werden. Es ist kein Zufall, dass diese Staaten eine lang anhaltende wirtschaftliche Stagnation durchlaufen, die große fiskalische Anreize und wahrscheinlich auch Steuererhöhungen erfordern wird. In jedem Fall finanzieren die europäischen Staaten diesen Krieg mit Schulden.
Es wird immer schwieriger werden, weitere Hilfe für die Ukraine zu rechtfertigen. Das Problem liegt nämlich nicht nur bei Selenskyj, und auch seine mögliche Ablösung bietet keine Garantie dafür, dass sich die Funktionsweise der Ukraine grundlegend ändern wird. Die westlichen Regierungen stehen somit vor einer unangenehmen Entscheidung. Entweder sie unterstützen die Ukraine weiterhin finanziell und hoffen naiv, dass die Korruption von selbst verschwindet, oder sie schränken die Hilfe ein, was faktisch den Zerfall des ukrainischen Staates beschleunigen würde.
Unabhängig davon, für welchen Weg sich die europäischen Regierungen entscheiden, eines bleibt sicher: Keine russische Waffe kann das Heldentum der ukrainischen Soldaten so schnell zunichte machen wie die Korruption in Kiew.