Im Künstlerhaus Wien hat eine Ausstellung mit dem Titel „Du sollst dir ein Bild machen“ nach kurzer Zeit eine Auseinandersetzung über die Grenzen künstlerischer Freiheit ausgelöst. Ein Schreiben der Meldestelle Christenschutz an die Präsidentin des Künstlerhauses, Tanja Prušnik, formuliert deutliche Vorwürfe. Die Schau arbeite mit Provokationen, die zentrale Symbole des Christentums in einen Kontext rückten, den viele Gläubige als abwertend empfinden.
Der Präsident der Meldestelle, Jan Ledóchowski, hält fest, bestimmte Werke wären im Rahmen islamischer oder jüdischer Traditionen „nie“ denkbar. Dass das Christentum dennoch regelmäßig als Projektionsfläche für Obszönität diene, sei ein strukturelles Problem der europäischen Kulturszene. Der Vorwurf richtet sich weniger gegen einzelne Exponate als gegen einen generellen Umgang mit christlichen Motiven.
Die zentralen Arbeiten: Zwischen Ironisierung und Entsakralisierung
Im Mittelpunkt der Kritik stehen mehrere Arbeiten, die stark in religiöse Symbolik eingreifen. Deborah Sengls „Von Schafen und Wölfen“ zeigt eine Figur im Priesterornat mit Wolfsgesicht. Die Meldestelle sieht darin eine pauschale Diffamierung kirchlicher Amtsträger. Martin Kippenbergers „Fred the Frog Rings the Bell“, ein seit Jahren umstrittenes Werk, präsentiert einen gekreuzigten Frosch. Renate Bertlmanns „Zärtlicher Christus“, ein mit Latexnoppen überzogenes Kruzifix, verlagert das Leidenssymbol des Christentums in eine erotisierte Ästhetik. Besonders heftig fällt die Reaktion auf „Mary’s Penis N°3“ von Anouk Lamm Anouk aus: eine moderne Pietà, in der Maria als Transfrau dargestellt wird.
Diese Arbeiten verschieben nicht nur ikonische Formen, sondern auch ihre emotionale Bedeutungsebene. Die Frage, ob dies als legitime künstlerische Herausforderung oder als Entwertung religiöser Identität zu verstehen ist, bestimmt den aktuellen Streit.
Reaktion des Künstlerhauses: Kunstfreiheit oder kalkulierte Provokation?
Kurator Günther Oberhollenzer weist die Vorwürfe zurück. Eine Verletzung religiöser Gefühle sei nicht beabsichtigt. Viele Besucher, darunter auch Geistliche, hätten die Schau als „herausfordernd, aber anregend“ erlebt. Die Fokussierung auf christliche Motive erklärt er mit deren prägender Rolle für die europäische Kunstgeschichte. Eine parallele Auseinandersetzung mit islamischen oder jüdischen Bildwelten würde ein anderes Konzept und erheblich mehr Raum erfordern.
Kritiker halten dagegen, dass die Frage nicht im Umfang, sondern im Umgang liege: Welche Formen der Respektlosigkeit wären in vergleichbaren Kontexten zulässig?
Politische Dimension: Öffentliche Förderung unter Druck
Da das Künstlerhaus aus Mitteln der Stadt Wien gefördert wird, erreicht der Konflikt nun auch die Politik. ÖVP-Kultursprecherin Judith Edelmann fordert eine Prüfung der Förderpraxis. Künstlerische Freiheit müsse gelten, sagte sie, doch manche Arbeiten seien „geschmacklos“ und daher nicht automatisch mit Steuergeld zu finanzieren.
Damit berührt die Debatte einen grundsätzlichen Punkt: Wie lässt sich ein liberaler Kunstbegriff mit dem Anspruch vereinbaren, religiöse Empfindlichkeiten zu achten? Die Ausstellung wird so zum Auslöser einer breiteren Diskussion über den kulturellen Konsens in einer zunehmend pluralen Öffentlichkeit.