Drei Monate nach ihrem Amtsantritt bei der Deutschen Bahn kündigt Evelyn Palla (52) einen radikalen Umbau des angeschlagenen Konzerns an. Dokumente aus dem Aufsichtsrat, die dem Handelsblatt vorliegen, zeigen: Die neue Vorstandschefin plant, das Topmanagement zu halbieren und die bisherige Führungsebene grundlegend zu verschlanken.
Demnach soll die erste Führungsebene unterhalb des Vorstands von derzeit 43 auf nur noch 22 Topmanager reduziert werden. Die Positionen der sogenannten „Konzernbeauftragten“ – eine Zwischenebene zwischen Vorstand und erster Führungsebene – sollen vollständig gestrichen werden, fünf Stellen entfallen. Auch bei den Vorständen der Tochtergesellschaften stehen vier Posten auf der Streichliste. Wer bleibt, soll künftig deutlich mehr Verantwortung tragen. Die Führung des gesamten Konzerns soll drastisch entschlackt werden: Die Holding wird verschlankt, interne Dienstleister reorganisiert, die Infrastruktur- und Technik-Ressorts werden zum Jahresende aufgelöst.
"Neustart DB"
Evelyn Palla will Entscheidungen dezentralisieren und in den operativen Einheiten verankern; jedes Geschäftsfeld soll wirtschaftlich geführt werden. Ihr Konzept „Neustart DB – wir stellen uns für die Zukunft neu auf“ setzt auf sechs Grundpfeiler: Entflechtung zwischen Gemeinwohl und Wettbewerb, schlankere Holdingstruktur, wirtschaftlich ausgerichtete Geschäftsfelder, klare Ergebnisverantwortung, effektive Steuerung mit messbaren Kennzahlen und Sofortprogramme zur Qualitätsverbesserung. Die entsprechenden Aufsichtsratsunterlagen wurden vergangene Woche verteilt, eine offizielle Entscheidung ist für den 10. Dezember geplant.
Erste Schritte sollen noch in diesem Jahr erfolgen, bis zum 1. Januar 2026 will Palla die neue Managementstruktur einführen, erste Dienstleister überführen und Stellen abbauen lassen. Bis Mitte 2026 soll das Umbauprogramm – inklusive Holding, Tochtergesellschaften und Dienstleister – fertig ausgearbeitet sein, bis Anfang 2027 werden 80 Prozent der Maßnahmen umgesetzt.
Hinter Pallas Plan steht eine deutliche Kritik an bisherigen Sanierungsprogrammen, etwa dem früheren Programm „S3“, das zentral geplant wurde und laut Kritikern zu wenig Wirksamkeit zeigte. Künftig sollen operative Einheiten eigenverantwortlich handeln und anhand klarer Kennzahlen bewertet werden.
So sollen Fehler im bürokratischen Zentralismus der Vergangenheit vermieden werden – Verantwortung wird den CEOs der jeweiligen Töchter übertragen, während die Konzernfinanzen (unter Leitung der Finanzchefin) nur noch überblickt werden. Auch bei den Vorständen der Töchter wird gekürzt: DB Regio etwa nur noch fünf statt sechs Mitglieder; DB Fernverkehr reduziert ebenso Posten; bei der Infrastrukturtochter DB InfraGo sinkt die Zahl der Vorstände von acht auf sechs. Palla bleibt jedoch Aufsichtsratsvorsitzende dieser Einheit – ein Punkt, der zuvor zu Auseinandersetzungen mit dem Verkehrsministerium geführt hatte.
Besonders herausfordernd bleibt die Lage bei der verlustreichen Güterverkehrssparte DB Cargo. Die bisherige Sanierungschefin wurde ersetzt; der neue Chef muss bis Jahresende ein neues Konzept vorlegen. Evelyn Palla plant zudem, viele Dienstleister strategisch enger an jene Töchter zu binden, mit denen sie am meisten arbeiten – um Effizienz und Kostenstruktur zu verbessern. Parallel dazu will sie Sofortprogramme für Kundenfreundlichkeit, Sauberkeit und Komfort in Zügen und Bahnhöfen durchsetzen, zum Teil im Rahmen der bundesweiten „Agenda für eine zuverlässige Bahn“. Die Ziele: weniger Verspätungen, stabilerer Betrieb an Knotenpunkten und bessere Baustellenkoordination, mit Wirkung bis 2027.
Mit ihrem Plan wagt die in Südtirol geborene Ex-ÖBB-Managerin Palla ein ambitioniertes Experiment: Dezentralisierung, wirtschaftliche Orientierung und schlanke Strukturen sollen die dauerhaft schwerfällige Deutsche Bahn wieder flott machen. Ob das gelingt, entscheidet sich bereits in den nächsten Monaten – und mit jedem Zug, der pünktlich ankommt oder ausfällt.
Dieses Thema erschien vorab im Handelsblatt: Deutsche Bahn: Palla will die Hälfte der Topmanagement-Stellen streichen