Da werden in europäischen Hauptstädten einige interessiert aufhorchen: Die Regierung in Washington setzt in ihrer neuen Nationalen Sicherheitsstrategie deutliche Akzente – und sie zielen mitten ins politische Zentrum Europas. Die USA wollen demnach den Widerstand gegen die derzeitige Ausrichtung der Europäischen Union stärken, um eine grundsätzliche Neuordnung der europäischen Politik anzustoßen.
In der am Donnerstag veröffentlichten Strategie heißt es, die EU „unterminiere die politische Freiheit“, ihre Migrationspolitik verändere den Kontinent und löse innere Konflikte aus. Die US-Regierung kündigt deshalb an, „Widerstand gegen Europas derzeitige Entwicklung innerhalb europäischer Staaten zu fördern“. Wie genau dieser Einfluss aussehen soll, bleibt das Papier schuldig. Unter dem Leitbegriff „Europäische Größe fördern“ listet das Weiße Haus jedoch eine Reihe politischer und gesellschaftlicher Schwachpunkte auf – von der Gefährdung demokratischer Standards über Einschränkungen der Meinungsfreiheit bis zu instabilen Minderheitsregierungen, die als kaum reformfähig beschrieben werden.
Ein Kontinent zwischen Identitätsverlust und geopolitischem Druck
Zudem benennt das Dokument strukturelle Risiken: niedrige Geburtenraten, den Verlust nationaler Identitäten und mangelndes Selbstbewusstsein europäischer Staaten. In Kombination mit der aktuellen Migrationspolitik bestehe die Gefahr, dass der Kontinent „in 20 Jahren oder noch weniger Zeit“ nicht wiederzuerkennen sei.
Beim Blick auf Russland attestiert die Strategie Europa ein paradoxes Verhalten: Obwohl die europäischen Verbündeten dem Land „in fast jeder Hinsicht“ militärisch überlegen seien – Atomwaffen ausgenommen – werde Moskau seit Beginn des Ukraine-Krieges als übermächtige Bedrohung wahrgenommen. Für Washington ist das ein Zeichen fehlenden geopolitischen Selbstvertrauens. Die USA kündigen an, sich diplomatisch stärker einzubringen, um strategische Stabilität auf dem eurasischen Kontinent zu fördern. Dazu zählt aus Sicht der Regierung auch der wirtschaftliche Wiederaufbau der Ukraine, die als „lebensfähiger Staat“ erhalten bleiben müsse.
Gleichzeitig zielt die Strategie auf eine engere wirtschaftliche Vernetzung: Europäische Märkte sollen weiter für US-Unternehmen geöffnet werden, während Mittel-, Ost- und Südeuropa zu „gesunden Nationen“ aufgebaut werden sollen, die politisch und wirtschaftlich mit den USA kooperieren. Die NATO, so heißt es ergänzend, solle kein „dauerhaft expandierendes Bündnis“ mehr darstellen.
Trotz der deutlichen Kritik betont das Dokument die anhaltende emotionale und kulturelle Bindung der USA an Europa. Für Washington bleibt der Kontinent „strategisch und kulturell von entscheidender Bedeutung“ – gerade deshalb will die amerikanische Regierung seinen Kurs nun stärker beeinflussen.