Vertreter der Europäischen Union spielen mit dem Gedanken, eingefrorene russische Vermögenswerte zur Finanzierung der Ukraine zu nutzen. Zur Umsetzungt will die Europäische Union der Ukraine einen Kredit zur Finanzierung des Landes gewähren, sie möchte dieses Geld jedoch nicht aus ihrem Haushalt bezahlen – dafür besitzt sie schlicht nicht die Mittel.
Die Union hat daher beschlossen, das Darlehen mit Geldern "abzusicheern", die sie bereits in ihren Händen hält – die eingefrorenen russischen Vermögenswerte. Es handelt sich um Gelder und Finanzreserven der russischen Zentralbank, die nach Ausbruch des Krieges im Jahr 2022 in europäischen Banken blockiert wurden.
Der größte Teil der Vermögenswerte der russischen Zentralbank ist in Belgien bei Euroclear eingefroren – einem globalen Finanzdienstleistungsunternehmen, das Vermögenswerte in Höhe von rund 190 Milliarden Euro in seinem Depot hält, während weitere 20 bis 25 Milliarden Euro in anderen Mitgliedstaaten der Union angelegt sind.
Belgien ist mit diesem Vorgehen nicht einverstanden, da es ein internationales Schlichtungsverfahren befürchtet. Ein solcher Schritt kann nämlich juristisch nur als Diebstahl angesehen werden. Von einem Darlehen kann nur dann die Rede sein, wenn Russland einer Überweisung der Gelder zustimmen würde, was wohl nie geschehen wird.
Belgien lehnt illegale Maßnahmen ab
Der belgische Premierminister Bart De Wever lehnte die Vorschläge des deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz und der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, entschieden ab, da ein von der Europäischen Union sanktionierter Diebstahl dieser Größenordnung nicht nur Belgien, sondern ganz Europa wirtschaftlich und rechtlich gefährden würde.
Nicht nur die Europäische Zentralbank EZB, vertreten durch ihre Präsidentin Christine Lagarde, sondern auch andere europäische Staaten mahnen zu äußerster Vorsicht im Umgang mit beschlagnahmtem russischem Vermögen.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen, die jeder Bürger der Union zu spüren bekäme, wären extrem. Russland könnte Vergeltungsmaßnahmen ergreifen, indem es europäische Unternehmen, die noch immer auf seinem Territorium tätig sind, beschlagnahmt, was im Jahr 2024 einem Vermögen von etwa 90 Milliarden Dollar entsprach.
Ein solcher Schritt seitens der EU würde zu erheblichen Turbulenzen auf den internationalen Märkten führen. Länder und Investoren könnten in Zukunft davon abgehalten werden, europäische Finanzinstitute in Anspruch zu nehmen, aus Angst, dass ihr eigenes Vermögen beschlagnahmt werden könnte, wenn die Union einen ausreichenden Vorwand dafür findet. Dies würde die Grundlagen der gesamten Wirtschaft der Gemeinschaft erschüttern.
Die äußerst negativen wirtschaftlichen Folgen wären globaler Natur, und Russland hat bereits durch den Vorsitzenden der russischen Bankenvereinigung Andrej Kostin gewarnt, dass Moskau mit Vergeltungsmaßnahmen reagieren werde, wenn die EU „russische Vermögenswerte nutzt, und dass es zu 50 Jahren Rechtsstreitigkeiten kommen könnte”.
Völkerrecht lässt die Beschlagnahme von Staatsvermögen nicht zu
Nicht nur die Russen, sondern auch Rechtsexperten aus der EU weisen auf diesen offensichtlichen Verstoß gegen das Völkerrecht hin.
Aus völkerrechtlicher Sicht ist es nämlich nicht möglich, ausländische Staatsvermögen zu beschlagnahmen. Der auf internationales Finanzrecht spezialisierte Rechtsprofessor Federico Lupo-Pasini wies darauf hin, dass „ein Gerichtsbeschluss, der die Regierung zur Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte verpflichten würde, sowohl nach internationalem Recht als auch nach nationalem Recht, das internationale Normen respektieren muss, rechtswidrig wäre“.
Nationale Gerichte können also keine Entscheidung über die Beschlagnahme von Vermögenswerten treffen, aber eine Verordnung der Europäischen Kommission kann dies tun. Allerdings kann auch die Kommission eine solche Verordnung nicht „einfach so“ erlassen – sie benötigt dafür einen rechtlichen Grund. Der einzige rechtmäßige Weg wäre nach internationalem Recht, wenn es sich um eine „Gegenmaßnahme“ (countermeasure) der EU gegenüber Russland handeln würde.
Gegenmaßnahmen sind Mechanismen, die Staaten als Reaktion auf Verstöße gegen das Völkerrecht durch andere Staaten einführen. Diese müssen jedoch vorübergehend und reversibel sein – Rechtsexperten sind sich uneinig darüber, ob die Beschlagnahme russischer Vermögenswerte diese Bedingungen erfüllen würde. Es fehlt nämlich eine offizielles Urteil eines internationalen Gerichtshofes, dass Russland gegen das Völkerrecht verstoßen habe.
Selbst die EU hat keine klare Vorstellung davon, wie die „Beschlagnahme“ russischer Vermögenswerte rechtlich zu bewerkstelligen wäre.
Die Union selbst weiß nicht, wie sie das Vermögen legal beschlagnahmen kann
In diesem Zusammenhang wurde eine Studie des Europäischen Parlaments (EP) erstellt, die sich mit den juristischen Möglichkeiten im Sinne des Völkerrechts befasst, das Eigentum an eingefrorenen russischen Vermögenswerten – insbesondere den Vermögenswerten der Zentralbank in Belgien – zu ändern und sie für den Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden.
Der Bericht analysiert die grundlegenden Rechtsbegriffe „Einfrieren/Immobilisierung/Beschlagnahme“ (freezing/immobilisation/seizing) und „Konfiszierung“ (confiscation) – letzterer bedeutet eine endgültige Änderung des Eigentums ohne Entschädigung – sowie die Rechte und Pflichten, die sich aus internationalen Normen ergeben. Wenn ein Staat eine rechtswidrige Handlung (z.B. eine Aggression) begangen hat, trägt er internationale Verantwortung und ist zu Reparationen verpflichtet.
Das Hauptproblem liegt nun in der sogenannten "souveränen Immunität des Staates" – nach internationalem Recht genießen Staaten Immunität vor der Beschlagnahme ihres Eigentums in ausländischen Gerichtsbarkeiten (einschließlich Zentralbankreserven), sofern sie dieser Maßnahme nicht zustimmen oder keine Ausnahmen vorliegen.
Diese Regel wurde vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag (International Court of Justice – ICJ) bestätigt und gilt allgemein in allen Ländern der Welt.
Keine legale Möglichkeiten zur Beschlagnahme von Vermögenswerten
Der Bericht des EP analysiert nun die verschiedenen Optionen der Beschlagnahmung der russischen Vermögenswerte.
Die erste Möglichkeit umfasst einmalige oder vorübergehende Maßnahmen (Drittmaßnahmen), die gegen die üblichen Immunitätsregeln verstoßen, aber als Reaktion auf völkerrechtswidrige Handlungen (Aggression) gerechtfertigt sind. Solche Maßnahmen müssen jedoch in der Regel vorübergehend, reversibel (das Hauptproblem im Falle Russlands) und zweckmäßig sein. Eine dauerhafte Beschlagnahme könnte als Strafe angesehen werden, was nicht zulässig ist.
Die zweite Möglichkeit wäre die Entscheidung eines internationalen Gerichtshofes, der den Anspruch der Ukraine auf Reparationen anerkennt, und dieses Urteil wäre auch für Russland vollstreckbar. In diesem Fall könnte ein Teil der Vermögenswerte zur Durchführung der Reparationen verwendet werden, aber neben dem zeitlichen Aspekt besteht das Problem auch darin, dass Russland die Zuständigkeit mehrerer internationaler Gerichte nicht anerkennt.
Als realistischste Möglichkeit sieht die Studie die Einbringung der eingefrorenen Vermögenswerte in einen speziellen Fonds oder ein Anlageinstrument, aus dem nur die Erträge verwendet würden. Dies würde keine endgültige Beschlagnahme russischer Vermögenswerte bedeuten, aber die reinen Zins-Erträge decken bei weitem nicht die realen Summen, mit denen die EU rechnet.
Trotz gegenteiliger, politischer Behauptungen über die Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte bietet der Bericht jedoch keine rechtlichen Möglichkeiten, die eine „rechtmäßige Beschlagnahmung ohne rechtliche Risiken” garantieren würden, da jeder Ansatz sowohl aus rechtlicher als auch aus wirtschaftlicher Sicht auf globaler Ebene höchst umstritten wäre.
Aus Sicht des Völkerrechts fehlt für einen solchen Schritt nämlich die Rechtsgrundlage. In der Praxis würde ein solcher Schritt einen neuen Präzedenzfall schaffen, dass ein Staat das Eigentum an seinen Vermögenswerten verlieren kann – was die Regeln der Staatenimmunität und des Eigentumsschutzes ändern würde.
Das Argument der „unrechtmäßigen Angriffe auf die Ukraine“ wäre aus dieser Sicht irrelevant, da es weltweit viele solcher Konflikte gibt, wenn auch nicht in so hoher militärischer Intensität. Entscheidend ist jedoch, dass auch bei diesen Konflikten die Grundsätze des Völkerrechts eingehalten werden, die durch die Maßnahmen der EU gegen Russland außer Kraft gesetzt würden, was unabsehbare Folgen haben könnte. Der Bericht des EP zeigt also deutlich, dass es keine Rechtsgrundlage für eine vollständige Beschlagnahmung russischer Staatsvermögen gibt.
Europa steuert auf eine Katastrophe zu
Sollte die EU trotz der offensichtlichen Schlussfolgerungen der Analyse dennoch eine dauerhafte Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte vornehmen, würde die Russische Föderation wahrscheinlich eine Reihe internationaler Klagen gegen Belgien und andere Staaten, die ihr Vermögen halten, einleiten und diese mit großer Wahrscheinlichkeit auch gewinnen.
Derzeit hat die EU beschlossen, russische Vermögenswerte auf unbestimmte Zeit einzufrieren, was zwar noch nicht denselben rechtlichen Status wie eine Beschlagnahmung hat, aber sehr nahe daran kommt. Als Reaktion darauf hat die russische Zentralbank angekündigt, Klage gegen das in Belgien ansässige Unternehmen Euroclear zu erheben, bei dem der Großteil der in der Europäischen Union eingefrorenen russischen Vermögenswerte hinterlegt ist.
Genau aus diesem Grund verlangt Belgien Garantien für sein Vorgehen in Bezug auf russisches Vermögen – es lehnt es nämlich ab, als Staat die Verantwortung für die Entscheidung der EU-Vertreter zu übernehmen, und würde in einem Rechtsstreit den größten Teil der Verantwortung tragen.
Ein verlorener internationaler Rechtsstreit würde eine Entschädigung einschließlich Zinsen (und anderer Nebenkosten, Kosten usw.) bedeuten, was angesichts der extrem hohen Summe der beschlagnahmten Vermögenswerte und der aktuellen wirtschaftlichen Lage der EU mindestens den vorletzten Schritt zum finanziellen Zusammenbruch bedeuten würde. Die EU würde einem Reputationsrisiko ausgesetzt sein und hätte eine geschwächte Position in künftigen Streitigkeiten.
Außerhalb eines Gerichtsverfahrens würde Russland wahrscheinlich sofort mit der Beschlagnahmung von Vermögenswerten der EU und ihrer Mitgliedstaaten in Russland beginnen – einschließlich Unternehmensvermögen, Immobilien, Bankkonten und Investmentfonds. Russland könnte sofort Lizenzen entziehen, europäischen Unternehmen den Betrieb und den Export strategischer Rohstoffe verbieten oder einschränken. Dieser Schritt kann als sicher gelten, da Russland ihn bereits im Voraus angedroht hat.
Es muss nicht extra erwähnt werden, dass auch Verbündete Russlands wie Indien oder China, die umfangreiche wirtschaftliche Verbindungen zu Europa pflegen, ähnlich reagieren könnten.
Das Völkerrecht würde in eine Phase der Unsicherheit geraten, und es gäbe nur zwei mögliche Ergebnisse: die Schaffung eines neuen Präzedenzfalls (und weltweite Instabilität) oder die Verurteilung der EU und die Schädigung ihrer finanziellen Stabilität und ihres Ansehens. Beide Szenarien wären für Europa eine Katastrophe.