BERLIN. Angela Merkel nennt es heute ihr größtes Versäumnis: den Klimaschutz. Bei einem öffentlichen Auftritt im Rahmen einer Veranstaltung des Stern hat die frühere Bundeskanzlerin ungewöhnlich selbstkritisch eingeräumt, diesem Thema während ihrer Amtszeit zu wenig Priorität eingeräumt zu haben. Zugleich machte sie klar, daß sie sich auch im Ruhestand weiter zu Wort melden wird – trotz deutlicher Vorbehalte in der eigenen Partei.
Wenn sie sich frage, wo zu wenig Herzblut geflossen sei, dann sei das beim Thema Klima gewesen, sagte Merkel. Die Kritik jüngerer Klimaaktivisten wie Luisa Neubauer oder Greta Thunberg sei berechtigt gewesen. Besonders alarmierend finde sie, daß der Klimaschutz heute politisch kaum noch eine Rolle spiele. Das Thema sei wie weggeblasen, obwohl die Lage kritischer sei als je zuvor.
Verteidigung einer umstrittenen Kanzlerschaft
Der Auftritt in der Berliner Bertelsmann-Repräsentanz diente Merkel jedoch nicht nur zur Selbstkritik, sondern auch zur Verteidigung ihrer Kanzlerschaft. Sie widersprach dem in der CDU verbreiteten Vorwurf, sie habe das Land politisch nach links geführt. Zentrale Entscheidungen wie die Rente mit 67, die Mehrwertsteuererhöhung, der Ausbau der Kinderbetreuung oder höhere Forschungsinvestitionen seien maßgeblich von ihr geprägt worden. Auch zur Atomkraft äußerte sie sich differenziert: grundsätzlich schlecht sei sie nicht.
Zur Russlandpolitik erklärte Merkel, sie habe früh erkannt, daß Wladimir Putin keine guten Absichten verfolge. Gleichzeitig verwies sie auf die Vielzahl gleichzeitiger Krisen während ihrer Amtszeit, von der Eurokrise bis zur Pandemie. Man könne nicht alles parallel bewältigen.
Deutlich positionierte sich Merkel auch im Umgang mit der AfD. Ihre Kritik an gemeinsamen Abstimmungen von Union und AfD verteidigte sie erneut als staatspolitisch geboten. Politiker dürften nicht ständig die AfD wie ein Kaninchen vor der Schlange im Blick haben, sondern müßten Politik für die Mehrheit der Bevölkerung machen. Mehrheiten mit der AfD lehnte sie ausdrücklich ab.
Für Heiterkeit sorgte eine Randbemerkung zur Künstlichen Intelligenz. Auf die Frage, wie ChatGPT ihre Kanzlerschaft bewerte, kommentierte Merkel trocken, das Programm sei feige. Zugleich wurde sie grundsätzlich: Künstliche Intelligenz müsse reguliert werden. Europa stehe vor einer großen Auseinandersetzung mit den USA und dürfe sich nicht zum digitalen Anhängsel amerikanischer Technologiekonzerne entwickeln.
Den Namen ihres Nachfolgers Friedrich Merz vermied Merkel an diesem Abend. Unterschiede im politischen Blick wurden dennoch deutlich. Am Ende blieb vor allem eine Botschaft: Die Altkanzlerin denkt nicht daran, sich zurückzuziehen. Sie wird sich einmischen – immer dann, wenn sie es für staatspolitisch geboten hält.