WASHINGTON/BERLIN. Lange Zeit galt Deutschland in Washington als verlässlicher Pfeiler der transatlantischen Ordnung: wirtschaftlich stark, politisch stabil, strategisch berechenbar. Dieses Bild ist brüchig geworden. Die jüngste Nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten markiert einen deutlichen Perspektivenwechsel. Europa wird darin nicht mehr primär als Partner, sondern als Raum struktureller Schwäche beschrieben – und Deutschland nimmt darin eine zentrale Rolle ein.
Auffällig ist weniger, was explizit gesagt wird, als das, was zwischen den Zeilen steht. Die USA unterscheiden inzwischen klar zwischen europäischen Staaten und der Institution EU. Nationale Regierungen gelten als potenziell ansprechbar, Brüssel hingegen als schwerfälliger, ideologisch überladener Akteur. Deutschland wiederum erscheint als Land, das wirtschaftliche Substanz eingebüßt hat, sicherheitspolitisch zögert und innenpolitisch von Konflikten gelähmt ist, die es nicht mehr kontrolliert.
Innere Sicherheit als internationales Reputationsproblem
Diese Wahrnehmung speist sich aus mehreren Faktoren. In Washington wird registriert, dass Deutschland seine industrielle Basis durch Energiepolitik, Überregulierung und strategische Unentschlossenheit geschwächt hat. Gleichzeitig gilt die innere Sicherheit als problematisch. Migration, Gewaltkriminalität und eine Justiz, die nach amerikanischem Verständnis nicht mehr klar zwischen Täter und Opfer unterscheidet, prägen das Bild.
Ein konkretes Beispiel dafür kursiert derzeit in sozialen Netzwerken und politischen Zirkeln in den USA. Die konservative Kommentatorin Avery Daye griff in einem vielbeachteten Tweet ein Urteil deutscher Richter auf: Ein 29-jähriger Afghane sticht am helllichten Tag sechsmal auf eine 27-jährige Frau ein. Das Gericht wertet das Abbrechen der Tat und die Flucht als „freiwilligen Rücktritt vom versuchten Mord“ und reduziert das Strafmaß entsprechend. Die juristische Begründung mag im deutschen Strafrecht verankert sein, in den USA wird sie als Symptom staatlicher Selbstentmachtung gelesen.
Daye schildert den Fall nicht als juristische Kuriosität, sondern als Ausdruck eines Systems, das den Schutz der eigenen Bevölkerung aus dem Blick verloren habe. Der Schlusssatz ihres Tweets bringt diese Wahrnehmung auf den Punkt: „A government against its people.“ Polemisch formuliert, aber anschlussfähig an ein wachsendes Unverständnis gegenüber deutscher Rechts- und Migrationspolitik.
Strategische Neubewertung mit Folgen für Europa
Diese Einschätzung findet sich auch in der Nationalen Sicherheitsstrategie wieder. Migration wird dort ausdrücklich als Destabilisierungsfaktor benannt, der gesellschaftlichen Zusammenhalt untergräbt und politische Systeme anfällig macht. Während osteuropäische Staaten in Washington als nüchtern, wehrhaft und realistisch gelten, wird Deutschland zunehmend als Beispiel strategischer Naivität wahrgenommen – ohne offene Bloßstellung, aber mit klarer Distanz.
Für Österreich ist diese Entwicklung nicht ohne Bedeutung. Deutschlands Kurs prägt die EU wirtschaftlich wie politisch. Wenn Washington Berlin nicht mehr als stabilen Anker, sondern als Unsicherheitsfaktor betrachtet, betrifft das den gesamten deutschsprachigen Raum. Die transatlantische Beziehung ordnet sich neu – weniger wertegetrieben, stärker interessengeleitet. Und Deutschland steht dabei nicht mehr im Zentrum des amerikanischen Vertrauens.