Mit Beginn der Grippe- und Infektsaison kehrt ein Thema zuverlässig zurück: fehlende Medikamente. In österreichischen Apotheken sind Antibiotika für Kinder, fiebersenkende Säfte und einzelne Standardpräparate immer wieder nur eingeschränkt verfügbar. Eltern kennen das Muster. Man fährt mehrere Apotheken ab, lässt sich Dosierungen umrechnen oder weicht auf Tabletten aus, die geteilt werden müssen.
Offiziell ist die Lage derzeit ruhig. Von akuten Engpässen ist kaum die Rede. Doch dieser Eindruck täuscht. Die Knappheit ist nicht verschwunden, sie ist zum Normalzustand geworden. Politisch fällt das kaum mehr auf, im Alltag der Patienten sehr wohl.
Der österreichische Arzneimittelmarkt ist stark von internationalen Lieferketten abhängig. Wirkstoffe stammen überwiegend aus China und Indien, die Weiterverarbeitung erfolgt über mehrere Länder hinweg. Fällt ein Produktionsstandort aus oder verzögert sich eine Lieferung, wirkt sich das unmittelbar auf die Versorgung aus. Diese Struktur ist bekannt. Sie macht das System effizient, aber anfällig. Reserven existieren kaum.
Besonders deutlich zeigen sich diese Schwächen bei Medikamenten für Kinder. Antibiotika-Säfte und fiebersenkende Präparate sind technisch aufwendiger, kürzer haltbar und wirtschaftlich wenig attraktiv. Bereits moderate Nachfragespitzen reichen aus, um Lieferprobleme auszulösen.
Die Engpässe sind nicht immer flächendeckend, aber regelmäßig spürbar – vor allem in der Infektsaison.
Apotheken als täglicher Reparaturbetrieb
Wie sehr sich diese strukturelle Fragilität im Alltag niederschlägt, beschreibt die Österreichische Apothekerkammer gegenüber STATEMENT. Um Lieferprobleme für Patienten abzufedern, sei durchschnittlich eine Vollzeitstelle pro Apotheke den ganzen Tag mit organisatorischer Mangelverwaltung beschäftigt.
Das beginnt bei Nachfragen bei Großhändlern und anderen Apotheken, setzt sich fort bei der Abstimmung mit Ärzten über Alternativpräparate und endet, wenn industrielle Produkte fehlen, bei der Herstellung direkt in der Apotheke. Zusätzlich verweist die Kammer auf ihre neue, kostenlose ApoApp, über die sich Patienten vorab informieren können, ob ein Medikament in einer Apotheke verfügbar ist. Die Versorgung funktioniert, so die Kammer, aber nur durch permanente Improvisation.
Bei den Ursachen wird die Apothekerkammer deutlich. Österreich sei ein Niedrigpreisland und für Hersteller entsprechend wenig attraktiv. Das Erstattungs- und Preissystem begünstige Lieferengpässe, weil es weder Lagerhaltung noch Reserveproduktion belohne.
Falle ein Arzneimittel aus der Erstattung, verlagere sich die Nachfrage rasch auf Alternativpräparate. Diese seien jedoch ebenfalls knapp kalkuliert. Engpässe entstünden damit nicht zufällig, sondern als systemische Folge politischer Rahmenbedingungen. Die Kammer betont, dass diese Entscheidungen nicht in den Apotheken getroffen werden, sondern auf politischer Ebene.
Nach den massiven Engpässen der vergangenen Jahre kündigte die EU an, die Arzneimittelversorgung strategisch neu auszurichten. Europa sollte unabhängiger von asiatischen Wirkstoffproduzenten werden und kritische Medikamente wieder stärker selbst herstellen.
Ein Jahr später ist davon wenig sichtbar. Es gibt Strategiepapiere, Konsultationen und regulatorische Vorhaben, aber kaum neue Produktionskapazitäten. Die ökonomischen Anreize fehlen.
Produktion in Europa ist teuer. Gleichzeitig bleibt der politische Druck auf niedrige Medikamentenpreise hoch. Solange dieser Widerspruch besteht, bleibt die europäische Produktionswende Theorie.
Preislogik ohne Sicherheitsnetz
Das österreichische Erstattungssystem orientiert sich konsequent am günstigsten Anbieter. Versorgungssicherheit ist darin kein eigenes Kriterium. Dieses Modell hat lange funktioniert, solange globale Lieferketten stabil waren.
In einer angespannten Weltlage zeigt sich die Kehrseite. Wer ohne Puffer produziert, kann Störungen nicht abfedern. Resilienz ist nicht eingepreist.
Die staatliche Reaktion beschränkt sich bislang auf Monitoring und administrative Erleichterungen. Apotheken erhalten mehr Spielraum bei der Abgabe von Alternativen, Lieferprobleme werden dokumentiert. Das stabilisiert die Lage kurzfristig, ersetzt aber keine strukturelle Vorsorge.
Eine nationale Bevorratungsstrategie existiert nicht. Auch eine gezielte industriepolitische Antwort fehlt.
Keine Antwort aus dem Ministerium
Das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz wurde von STATEMENT zu diesen strukturellen Fragen angefragt. Das von Gesundheitsministerin Korinna Schumann (SPÖ) geführte Ressort ließ die Anfrage unbeantwortet. Damit bleibt offen, wie das Ministerium die von der Apothekerkammer benannten Probleme bewertet und ob politische Konsequenzen geplant sind.
Die Medikamentenknappheit ist kein vorübergehendes Phänomen. Sie ist das Ergebnis eines Systems, das Effizienz und niedrige Preise höher gewichtet als Versorgungssicherheit. Apotheken gleichen diese Schwäche täglich aus – mit erheblichem personellem Aufwand.
Die Grippesaison macht das jedes Jahr sichtbar. Die eigentliche Frage ist nicht, ob Engpässe wieder auftreten, sondern wie lange man sie noch als Ausnahme behandeln will.