Ausländischen Medien zufolge sind die Entwicklungen eine Reaktion auf den wachsenden Widerstand sowohl der Mitgliedstaaten als auch der Automobilindustrie, die immer lauter auf die wirtschaftlichen und technologischen Grenzen eines schnellen Übergangs zur Elektromobilität hinweist.
Im Rahmen des Klimapakets Fit for 55 wurde ein Verbot von Verbrennungsmotoren im Jahr 2023 beschlossen. Ab 2035 sollten in der Europäischen Union nur noch neue kohlenstofffreie Autos und leichte Nutzfahrzeuge zugelassen werden, was in der Praxis das Ende von Benzin- und Dieselfahrzeugen, einschließlich der meisten Hybridmodelle, bedeuten würde.
Kurz nach der Verabschiedung wurde jedoch deutlich, dass die politische Einigung auf weniger soliden Füßen steht als ursprünglich angenommen.
Striktes Verbot würde Beschäftigung in der Autoindustrie gefährden
Der stärkste Widerstand gegen ein striktes Verbot kam lange Zeit aus Deutschland und Italien. "Wir brauchen Technologieoffenheit. Es reicht nicht aus, alles auf eine Karte zu setzen", sagte der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing zuvor.
Er sagte, die EU müsse auch Raum für Verbrennungsmotoren mit synthetischen Kraftstoffen lassen. Vor allem italienische Beamte haben sich ähnlich geäußert und auf die Risiken für die Beschäftigung in der Automobilbranche hingewiesen.
Berichten zufolge erwägt die Kommission eine Reihe von Zugeständnissen. Auf dem Tisch liegt nicht nur eine Verschiebung der Frist oder eine Lockerung des 100%igen Reduktionsziels, sondern auch die Möglichkeit, einen begrenzten Anteil von Autos mit Verbrennungsmotoren über 2035 hinaus zuzulassen.
Ein Beamter der Europäischen Kommission erklärte gegenüber der Financial Times, dass "das Ziel nicht darin besteht, die Klimapolitik zu schwächen, sondern sie an die Realitäten des Marktes und die Produktionskapazitäten der europäischen Industrie anzupassen".
Der Kurswechsel wird von der Autoindustrie offen begrüßt
Der Leiter eines großen europäischen Konzerns erklärte gegenüber Reuters, dass die Verordnung zu einer Zeit erlassen wurde, als man "von einer völlig anderen Marktentwicklung ausging". Das Tempo der Elektrifizierung werde durch hohe Fahrzeugpreise, eine unterentwickelte Infrastruktur und eine schwächelnde Verbrauchernachfrage gebremst, sagte er. "Wenn Europa nicht Produktion und Arbeitsplätze verlieren will, muss es pragmatisch handeln", sagt er.
Kritiker warnen jedoch, dass das Abrücken vom Verbot ein gefährliches Signal aussende. Vertreter der Elektromobilitätsbranche warnen, dass die Regeländerung Investoren verunsichert. "Die Unternehmen haben auf der Grundlage klarer politischer Zusagen Milliardenbeträge investiert. Wenn die Regeln nun geändert werden, gefährdet das die Glaubwürdigkeit der EU", so ein Vertreter eines europäischen Elektrofahrzeugherstellerverbandes gegenüber Reuters.
Der Streit offenbart damit einmal mehr eine grundlegende Spannung in der europäischen Klimapolitik - den Konflikt zwischen politischem Anspruch und wirtschaftlicher Realität. Der Vorschlag der Europäischen Kommission bedeutet nicht das endgültige Aus für das Verbot von Verbrennungsmotoren.
Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten werden folgen. Doch schon jetzt ist klar, dass die ursprüngliche Idee eines schnellen und vollständigen Ausstiegs aus dem Verbrennungsmotor bis 2035 an die immer härteren Grenzen der Realität stößt.
(reuters, ft)