WIEN. Statement.at hat beim österreichischen Innenministerium nachgefragt, ob der Anfang Juli 2025 beschlossene Stopp des Familiennachzugs im Asylbereich in der Praxis tatsächlich eingehalten wird. Die Antwort aus dem Ressort von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) fällt klar aus: Im November 2025 ist nur eine Person im Rahmen des Familiennachzugs nach Österreich eingereist. In den Monaten zuvor war die Zahl der Nachzügler auch überschaubar.
Der seit 3. Juli 2025 geltende Stopp ist rechtlich nicht als absolutes Verbot ausgestaltet, sondern als sogenannte Hemmung. Anträge von Angehörigen von Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten werden grundsätzlich nicht weiterbearbeitet. Nur in eng begrenzten Konstellationen kann es Ausnahmen geben, insbesondere dann, wenn das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention berührt ist. In der politischen Begründung wird dabei regelmäßig auf Minderjährige verwiesen, für die am Aufenthaltsort eine geeignete Bezugsperson vorhanden sein muss.
Faktisch zeigt die Auskunft des Ministeriums jedoch: Der Familiennachzug im Asylbereich ist seit Monaten nahezu vollständig zum Erliegen gekommen.
Stopp verlängert, Verfahren gehemmt, Ausnahmen selten
Am 17. Dezember 2025 hat die Bundesregierung den Stopp des Familiennachzugs im Asylbereich um weitere sechs Monate verlängert. Nach dem Ministerrat gab auch der Hauptausschuss des Nationalrats grünes Licht. Damit bleiben Anträge von Angehörigen von Asyl- und subsidiär Schutzberechtigten weiterhin gehemmt.
Innenminister Karner begründete die Verlängerung erneut mit einer Überlastung staatlicher Systeme, insbesondere im Bildungs- und Sozialbereich. An der grundsätzlichen Problemlage habe sich in den vergangenen Monaten nichts geändert. Ausnahmen bleiben möglich, sind aber eng gefasst und betreffen nur Einzelfälle.
Eine parlamentarische Anfragebeantwortung aus dem Innenministerium unterstreicht diese Linie mit Zahlen. Von Jänner bis September 2025 wurden 1.482 Anträge auf Familiennachzug gestellt. 921 Anträge wurden im selben Zeitraum zwar formal gewährt, ein Großteil der Verfahren kam jedoch aufgrund der Hemmung nicht zur Einreise. Von Juli bis Ende September 2025 wurden 142 positive Prognosen erstellt, 132 dieser Fälle wurden dennoch gehemmt. Nur in zehn Fällen wurde die Einreise ausdrücklich aus Gründen des Privat- und Familienlebens gestattet.
Rechtlich ist die Maßnahme klar begrenzt. Die Hemmung kann laut Asylgesetz nur befristet verlängert werden und endet spätestens mit 30. September 2026. Die erste entsprechende Verordnung trat am 3. Juli 2025 in Kraft, die nun beschlossene Verlängerung gilt bis Anfang Juli 2026. Eine detaillierte Darstellung findet sich in der Parlamentskorrespondenz.
Parallel dazu wurde auch die Niederlassungsverordnung beschlossen. Für 2025 sind darin 5.616 Zuwanderungsplätze vorgesehen, der Großteil davon für Familienangehörige von Arbeitnehmern. Diese Regelung betrifft allerdings nicht den asylrechtlichen Familiennachzug, sondern die reguläre Migration über Aufenthaltstitel.
Brüssel, Berlin und die Frage, was „Familiennachzug“ eigentlich heißt
Parallel zum österreichischen Stopp im Asylrecht läuft auf EU-Ebene ein Verfahren, das politisch oft in denselben Topf geworfen wird, rechtlich jedoch eine völlig andere Materie betrifft. Die EU-Kommission hat Österreich und Polen mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gedroht. Der Vorwurf: Beide Staaten würden die Freizügigkeitsrichtlinie der Europäischen Union nicht korrekt umsetzen.
Konkret geht es um Familienangehörige von EU-Bürgern, die selbst außerhalb der Europäischen Union leben. Nach Ansicht der Kommission werden diese Personen in Österreich von bestimmten Rechten ausgeschlossen und erhalten nicht die vorgesehenen Aufenthaltsdokumente. Die Freizügigkeitsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten jedoch, die Einreise und den Aufenthalt solcher Familienangehörigen zu erlauben und zu erleichtern. Sie sollen rechtlich den gleichen Status erhalten wie nahe Angehörige, etwa Ehepartner oder Kinder.
Die Kommission verweist darauf, Österreich bereits 2011, 2024 und zuletzt im März 2025 verwarnt zu haben. Wien hat nun zwei Monate Zeit, zu reagieren. Andernfalls könnte der Fall vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg landen. Eine Übersicht zum Verfahren findet sich auf der Website der EU-Kommission.
Großer Familiennachzug nach Deutschland
Ein Blick nach Deutschland zeigt, wie stark politische Ankündigungen und tatsächliche Entwicklungen auseinanderliegen können. Politiker der Union hatten im Sommer öffentlich erklärt, die Bundesregierung setze den Familiennachzug aus. Tatsächlich betrifft die Aussetzung dort nur den Nachzug zu subsidiär Schutzberechtigten.
Gleichzeitig bleibt der Familiennachzug über das Visa-System auf hohem Niveau. Laut Angaben des Auswärtigen Amts gegenüber der deutschen Plattform Nius wurden 2025 bislang etwa 105.000 nationale Visa zum Zweck des Familiennachzugs erteilt, nach 123.675 im Vorjahr. Seit 2020 sind insgesamt rund 657.000 Personen über dieses System nach Deutschland eingewandert.
Der Vergleich zeigt: Während Österreich den Familiennachzug im Asylbereich nahezu vollständig stoppt, bleibt er in Deutschland – trotz gegenteiliger politischer Signale – ein zentraler Einwanderungskanal.