BERLIN. Der Deutsche Bundestag hat eine Reform des sogenannten Bürgergeldes beschlossen. Begleitet wurde sie von markigen Ankündigungen, insbesondere aus den Reihen der Union. CDU und CSU hatten versprochen, das System spürbar zu korrigieren: weniger Sozialausgaben, eine strengere Handhabung bei Arbeitsverweigerung und eine höhere Rückführungsquote in den Arbeitsmarkt. Das Bürgergeld sollte wieder stärker als temporäre Unterstützung verstanden werden – nicht als dauerhafte Alternative zur Erwerbsarbeit.
Was nun verabschiedet wurde, verfehlt diese Ziele deutlich. Die Reform ändert den Charakter des Systems nicht, sondern stabilisiert ihn. Für Arbeitsverweigerer bleibt der Status quo weitgehend erhalten, während die Jobcenter mit zusätzlichen administrativen Pflichten belastet werden. Politisch lässt sich das Ergebnis klar einordnen: Die SPD hat sich in den entscheidenden Punkten durchgesetzt, die Union muss eine empfindliche Niederlage hinnehmen.
Sanktionen auf dem Papier – Hürden in der Praxis
Im Mittelpunkt der Reform steht offiziell eine Verschärfung der Mitwirkungspflichten. Leistungsbezieher sollen Termine wahrnehmen, Bewerbungsbemühungen nachweisen und zumutbare Arbeit annehmen. Bei Pflichtverstössen, so die politische Erzählung, drohten künftig schneller und konsequenter Sanktionen. Diese Darstellung hält einer genaueren Betrachtung nicht stand.
Tatsächlich bleiben die rechtlichen Voraussetzungen für Leistungskürzungen extrem hoch. Sanktionen setzen weiterhin eine lückenlose Dokumentation voraus, mehrstufige Anhörungsverfahren und enge Fristen. Jeder einzelne Schritt muss rechtlich wasserdicht sein, um vor den Sozialgerichten Bestand zu haben. Schon kleine formale Fehler – etwa bei der Belehrung über Rechtsfolgen – können dazu führen, dass Kürzungen aufgehoben werden.
Die Reform verschärft dieses Problem sogar. Neue Begründungspflichten, zusätzliche Prüfungen der Zumutbarkeit und eine stärkere Einzelfallbetrachtung erhöhen den administrativen Aufwand weiter. Für die Mitarbeiter der Jobcenter bedeutet das: mehr Risiko, mehr Papierarbeit, mehr Zeit – und weniger Bereitschaft, Sanktionen überhaupt anzuwenden. In der Praxis wird häufig darauf verzichtet, weil der Aufwand in keinem Verhältnis zum Ergebnis steht.
Damit bleibt Arbeitsverweigerung faktisch leicht. Wer ein Jobangebot ablehnt, muss nicht mit sofortigen Konsequenzen rechnen. Bis eine mögliche Sanktion greift, vergehen oft Wochen oder Monate. In vielen Fällen kommt es gar nicht dazu. Diese strukturelle Schwäche des Systems wird durch die Reform nicht behoben, sondern zementiert.
Die zuständigen Behörden selbst weisen seit Jahren darauf hin, dass Sanktionen nur einen sehr kleinen Teil der Leistungsfälle betreffen. Daran wird sich durch die Reform nichts ändern. Die politische Behauptung, man erhöhe den Druck auf Arbeitsverweigerer, bleibt damit vor allem ein kommunikatives Signal – ohne praktische Wirkung.
Mehr Bürokratie, weniger Kontrolle
Besonders deutlich wird das Scheitern der Reform beim genaueren Blick auf die praktische Arbeit der Jobcenter. Diese sind seit Jahren mit steigenden Fallzahlen, Personalmangel und wachsender rechtlicher Komplexität konfrontiert. Anstatt hier anzusetzen und Verfahren zu vereinfachen, fügt die Reform weitere Kontroll- und Dokumentationspflichten hinzu.
Jede Sanktion erfordert künftig noch detailliertere Begründungen. Die individuelle Lebenssituation der Leistungsbezieher muss umfassend berücksichtigt werden, selbst dann, wenn eine Arbeitsverweigerung offensichtlich vorliegt. Verweist ein Bezieher etwa auf eine "psychische Erkrankung", wird es quasi unmöglich, ihm das Bürgergeld zu streichen. Was als Schutz vor Willkür gedacht ist, entwickelt sich in der Praxis zu einer faktischen Blockade staatlicher Kontrolle. Für die Vermittlungsarbeit hat das spürbare Folgen. Zeit, die eigentlich in Beratung, Qualifizierung oder Jobvermittlung fließen sollte, wird für Verwaltungsaufgaben gebunden. Die Reform verschiebt den Fokus weg von Effizienz und hin zu juristischer Absicherung. Kontrolle wird langsamer, nicht besser.
Hinzu kommt ein zentraler arbeitsmarktpolitischer Punkt: Der finanzielle Abstand zwischen Bürgergeld und niedrig entlohnter Arbeit bleibt gering. Trotz Reform ist der ökonomische Anreiz, eine Beschäftigung aufzunehmen, für viele Empfänger überschaubar. Besonders bei Teilzeit- oder Niedriglohnbeschäftigung lohnt sich der Schritt in den Arbeitsmarkt kaum. Auch hier setzt die Reform keine neuen Impulse.
Die Union hatte angekündigt, genau dieses Problem anzugehen. Passiert ist wenig. Schonvermögen bleiben weitgehend geschützt, die Grundstruktur der Leistungen bleibt erhalten. Wer nicht arbeiten will, kann sich weiterhin auf ein relativ stabiles Sicherungsniveau verlassen. Die Reform verändert dieses Kalkül nicht.
Politisch ist das Ergebnis eindeutig. Die SPD hat ihre Linie erfolgreich verteidigt: ein stark abgesichertes System, hohe rechtliche Hürden für Sanktionen und ein ausgeprägter Schutz der Leistungsbezieher. Die Union hingegen konnte ihre Kernforderungen nicht durchsetzen. Die angekündigte Wende in der Sozialpolitik bleibt aus. Auch die öffentlichen Finanzen profitieren nicht von der Reform. Einsparungen sind nicht absehbar. Die Zahl der Anspruchsberechtigten wird nicht signifikant sinken, die Ausgaben pro Kopf bleiben hoch. Angesichts demografischer Entwicklungen und steigender Lebenshaltungskosten dürfte der Druck auf den Sozialetat weiter zunehmen.