Österreichs Kopftuchverbot für Schülerinnen – eine europäische Einordnung

Österreich verbietet das Kopftuch für Mädchen unter zwölf Jahren. Ein Blick nach Frankreich zeigt, warum klare Regeln Integration fördern können.

Symbolfoto. Foto: Gideon Mendel/Corbis via Getty Images

Symbolfoto. Foto: Gideon Mendel/Corbis via Getty Images

Die österreichische Bundesregierung hat ein Kopftuchverbot für Mädchen unter zwölf Jahren an öffentlichen Schulen beschlossen. Kaum ein integrationspolitisches Thema ist emotional aufgeladener, kaum eines wurde in Europa häufiger diskutiert, vertagt oder juristisch umkreist. Der Blick ins Ausland zeigt jedoch: Österreich betritt kein Neuland. Entscheidend ist nicht, ob solche Regeln existieren – sondern ob Politik bereit ist, ihre gesellschaftlichen Konsequenzen auszuhalten.

Frankreich: Laizität als integrationspolitisches Instrument

Frankreich gilt als europäisches Referenzmodell. Seit 2004 verbietet ein Gesetz an öffentlichen Schulen das Tragen auffälliger religiöser Symbole. Dazu zählen Kippa, große Kreuze – und das islamische Kopftuch. 2023 wurde das Verbot ausdrücklich auf die Abaya ausgeweitet.

Die Wirkung dieses Gesetzes ist empirisch untersucht. Eine Studie kommt zu dem Ergebnis, dass das Kopftuchverbot die schulischen Leistungen muslimischer Mädchen verbessert, Schulabbrüche sanken und soziale Durchmischung sowie Integration gefördert wurden.

Frankreich zeigt damit einen oft verdrängten Zusammenhang: Neutralität im öffentlichen Raum stärkt individuelle Freiheit dort, wo Gemeinschaften sie einschränken. Der Staat wird nicht Gegner der Religion, sondern Schutzmacht des Kindes.

Belgien: Fragmentiert, aber konsequent

Belgien kennt kein landesweites Gesetz, doch zahlreiche Schulträger und Kommunen haben Kopftuchverbote umgesetzt, insbesondere in Grundschulen. Auch hier zeigt sich: Wo klare Regeln gelten, verlagert sich der Konflikt nicht in den Untergrund, sondern verliert an Schärfe. Die befürchtete Eskalation blieb aus. Islamistische Mobilisierung fand eher dort statt, wo Verbote halbherzig oder inkonsequent umgesetzt wurden. (Vergleichbar dokumentiert wie in anderen europäischen Staaten.)

Claudia Plakolm: REUTERS/Leonhard Foeger
Das Kopftuchverbot für kleine Mädchen ist ihr bislang größter politischer Wurf: Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP). Foto: Claudia Plakolm: REUTERS/Leonhard Foeger

Deutschland: Die Debatte, die immer wieder scheitert

Deutschland ist das Gegenbeispiel. Die Debatte um ein Kopftuchverbot für minderjährige Mädchen wurde mehrfach geführt – und jedes Mal verworfen. Juristische Bedenken, Föderalismus, parteipolitische Ausweichbewegungen und der inflationäre Verweis auf Religionsfreiheit führten dazu, dass politische Initiativen regelmäßig versandeten.

Besonders lehrreich ist der Fall Nordrhein-Westfalen. Dort hatte die damalige CDU-Integrationsstaatssekretärin Serap Güler 2018 ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren angestoßen. Ihre Diagnose war klar: Das Kinderkopftuch sei keine religiöse Praxis, sondern ein Symbol von Sexualisierung und Kontrolle.

Doch Güler wurde zum Musterbeispiel politischer Rückzugsbewegung. Aus dem Verbot wurde eine Prüfung, aus der Prüfung Integrationsarbeit, aus der Integrationsarbeit Aufklärung in Kindergärten und Schulen. Das nordrhein-westfälische Integrationsministerium verfügte weder über belastbare Zahlen noch über ein Konzept noch über den politischen Willen, den Konflikt auszutragen. Am Ende blieb eine folgenlose Absichtserklärung.

Dieser Rückzug ist kein Einzelfall, sondern strukturell. Er erklärt, warum integrationspolitische Debatten in Deutschland regelmäßig bei Symbolen enden, aber nie bei Konsequenzen.

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Wenn Neutralität aufgeweicht wird

Parallel dazu werden bestehende Schutzmechanismen ausgehöhlt. In Berlin wollen Grüne und Linke das Neutralitätsgesetz reformieren, um Lehrerinnen das Tragen des Kopftuchs im Unterricht zu erlauben. In Schleswig-Holstein stellen sich Grüne gegen ein Verbot der Vollverschleierung an Universitäten. In Nordrhein-Westfalen verzichtet die Landesregierung bewusst auf jedes Verbot und setzt stattdessen auf Dialog.

Die Frage lautet dabei stets: Wem nutzt das? Sicher nicht liberalen Muslimen. Sicher nicht Mädchen, die sich familiärem oder sozialem Druck entziehen wollen. Nutzen ziehen vor allem konservative Islamverbände, die ihre kulturelle Deutungshoheit sichern – mit politischer Rückendeckung ausgerechnet jener Parteien, die sich sonst als emanzipatorisch verstehen.

Das Kopftuch ist kein neutraler Stoff. Frauenrechtsorganisationen wie Terre des Femmes berichten seit Jahren von massivem Zwang, insbesondere seit der Migration ab 2015. Liberale muslimische Stimmen wie Ahmad Mansour oder Seyran Ateş warnen offen: Ohne staatliche Regeln setzt sich nicht Freiheit durch, sondern das lauteste Milieu. Der Konflikt verläuft nicht zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, sondern zwischen einem liberalen und einem orthodoxen Islam. Dieser Konflikt wird im Kopftuchstreit und im islamischen Religionsunterricht ausgetragen. Wer so tut, als existiere er nicht, entscheidet ihn implizit – zugunsten der Konservativen.

Österreichs Entscheidung im europäischen Kontext

Vor diesem Hintergrund ist das österreichische Kopftuchverbot kein Ausreißer, sondern eine verspätete Anpassung an europäische Realitäten. Frankreich und Belgien zeigen, dass klare Regeln nicht zu mehr Spaltung führen, sondern Integration erleichtern können – wenn sie politisch durchgehalten werden.

Die deutsche Erfahrung zeigt hingegen, wohin permanente Rückzüge führen: zu normativer Unklarheit, juristischer Dauerblockade und politischer Selbstentwaffnung. Wer das Feld nicht radikalen Parteien überlassen will, muss bereit sein, konservative Islamvarianten offen zu benennen und ihnen Grenzen zu setzen.

Das Kopftuchverbot für Kinder ist kein Angriff auf Religion. Es ist eine Entscheidung zugunsten des Kindes – und ein Testfall dafür, ob europäische Gesellschaften noch bereit sind, ihre eigenen Freiheitsversprechen ernst zu nehmen.