Es ist gar nicht so einfach, an russische Währungsreserven zu gelangen, die auf dem Gebiet der EU, vor allem bei dem belgischen Unternehmen Euroclear, gelagert sind, und sie als Finanzhilfe an die Ukraine zu schicken. Auch nicht aus der Sicht der Europäischen Kommission. Letztere betont seit langem die Unverletzlichkeit der Eigentumsrechte als einen der Grundwerte der Europäischen Union.
Diese Eigentumsrechte gelten auch für die russische Zentralbank, die die russischen Guthaben bei Euroclear rechtlich verwahrt. Solche Vermögenswerte können eingefroren werden, was auch nach EU-Recht geschieht, aber sie können nicht einfach beschlagnahmt werden. Um sie einzuziehen, müsste es eine Kriegserklärung gegen Russland von europäischer Seite geben.
Die russische Zentralbank ist bereits aktiv
Und weil Angriff die beste Verteidigung ist, hat die russische Zentralbank bereits gehandelt. Seit letzter Woche fordert sie vor einem Moskauer Schiedsgericht, dass Euroclear ihr fast 230 Milliarden Dollar zurückzahlt. Euroclear fällt zwar nicht in den Zuständigkeitsbereich dieses Moskauer Gerichts, doch könnte der Fall vor europäischen Schiedsgerichten landen, für die bereits EU-Recht gilt. Und es gibt rechtliche Präzedenzfälle.
So gewann das staatliche ukrainische Gasversorgungsunternehmen Naftogaz im Jahr 2023 ein Schiedsverfahren vor einem Gericht in Den Haag (Niederlande). In dem Urteil wurde ihm eine Entschädigung in Höhe von fünf Milliarden Dollar für die Beschlagnahmung seiner Vermögenswerte durch Russland während der Annexion der Krim im Jahr 2014 zugesprochen.
Im Jahr 2018 gewann Naftogaz wiederum in einem Stockholmer Schiedsverfahren mit dem vom Kreml kontrollierten russischen Gaskoloss Gazprom insgesamt 2,1 Milliarden Dollar.
Nun könnte es also wiederum die russische Seite, nämlich die russische Zentralbank, sein, die aus einem der EU-Schiedsgerichte als Sieger hervorgeht. Und es wäre vor allem Belgien als Sitz von Euroclear, das zahlen müsste.
Russland verfügt bei Euroclear derzeit über Vermögenswerte in Höhe von rund 206 Mrd. USD in Form von Bargeld und knapp 11 Mrd. USD in Form von Wertpapieren, hauptsächlich Anleihen. Diese werden in den nächsten zwei Jahren fällig. Die Zinsen auf diese russischen Guthaben - etwa drei Milliarden Dollar pro Jahr - werden bereits als Zinssteuer beschlagnahmt. Sie tragen zur Finanzierung der Ukraine bei.
Was die Kommission vorschlägt
Aber die Beschlagnahme des Kapitals selbst ist etwas anderes. Zinszahlungen können nicht mehr mit der Zinssteuer belegt werden.
In Brüssel werden die EU-Mitgliedstaaten daher am Donnerstag, Freitag und vielleicht sogar am Wochenende darüber beraten, wie man russische Vermögenswerte beschlagnahmen kann, damit "der Wolf frisst und die Ziege ganz bleibt", also auf dem Papier unversehrt bleibt.
In diesem Zusammenhang schlägt die Kommission folgendes Vorgehen vor. Die Europäische Union wird Nullkupon-Anleihen ausgeben, also praktisch zinslose Anleihen. Die EU-Mitgliedstaaten werden für diese Anleihen bürgen, so dass die Anleihen buchhalterisch einem Bargeld gleichkommen. Auf diese Weise ist Euroclear berechtigt, Bargeld in seinen Büchern durch hochwertige Anleihen zu ersetzen. Die hohe Qualität der Anleihen wird durch die oben erwähnte Garantie der EU-Mitgliedstaaten gewährleistet.
Aus buchhalterischer Sicht macht es keinen Unterschied, ob Euroclear russische Vermögenswerte in Form von Bargeld oder hochwertigen Anleihen besitzt. Russland würde also weiterhin über seine Vermögenswerte bei Euroclear verfügen, wenn auch nicht mehr in Form von Bargeld, sondern in Form von Anleihen, die von der EU ausgegeben werden.
Auf diese Weise wird Bargeld freigesetzt, ohne dass russische Vermögenswerte effektiv beschlagnahmt werden. Auf dem Papier wird Russland weiterhin seine Vermögenswerte bei Euroclear halten. Nur eben nicht in Form von Bargeld, sondern in Form seines buchhalterischen Äquivalents - hochwertigen Anleihen.
Die freigewordenen Barmittel können somit als so genannter Reparationskredit auf die Konten der Ukraine fließen. Dieses Darlehen stellt für die Ukraine und ihre öffentlichen Finanzen keine neue Schuld dar, da das betreffende Geld immer noch von Russland in Form von EU-Anleihen gehalten wird, das es der Ukraine - wiederum buchhalterisch gesehen - nicht zur Verfügung gestellt hat. Es gibt also auch keine Schulden auf der Seite Kiews.
Solche EU-Anleihen haben nicht nur einen Nullkupon, sind also zinslos, sondern werden auch nie fällig. Sie stellen eine Art ewiges Papierversprechen an Russland dar, dass seine Schulden zurückgezahlt werden.
Diese Anleihen können nur eingelöst, in Bargeld umgewandelt werden, wenn Russland der Ukraine Kriegsreparationen zahlt, was höchstwahrscheinlich nie geschehen wird, es sei denn, Russland verliert den Krieg militärisch. Daher rührt ja auch der Name dieser historisch beispiellosen Operation: Reparationsanleihe.
Der Gedanke dahinter ist, dass dieses Darlehen nur aus den Kriegsreparationen Russlands an die Ukraine zurückgezahlt werden kann, aber da diese niemals fällig werden, wird das Darlehen an die Ukraine zu einem unwiderruflichen Transfer. In der Tat ein Geschenk.
Problematisch wird diese Operation, wenn das Schiedsgericht zu Gunsten Russlands entscheidet oder wenn die Sanktionen, mit denen russische Guthaben bei Euroclear eingefroren wurden, auslaufen. Wie wir wissen, ist Russland nach wie vor Inhaber der Euroclear-Vermögenswerte, die nicht beschlagnahmt wurden, und es würde sofort eine Auszahlung verlangen - und zwar in bar.
Dieser Text wurde ursprünglich auf lukaskovanda.cz veröffentlicht.