Heftige Bauernproteste in Brüssel gegen Mercosur-Abkommen

Die Proteste in Brüssel gegen das Mercosur-Abkommen eskalieren – und legen einen grundlegenden Konflikt zwischen europäischer Handelspolitik und Landwirtschaft offen.

Bauern laufen in Brüssel gegen Mercosur Sturm. Foto: Reuters/Yves Herman

Bauern laufen in Brüssel gegen Mercosur Sturm. Foto: Reuters/Yves Herman

Traktoren blockieren Zufahrtsstraßen, Rauch zieht durch das Europaviertel, die Polizei setzt Wasserwerfer ein. In Brüssel kommt es aktuell zu massiven Bauernprotesten gegen das geplante Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den südamerikanischen Mercosur-Staaten. Während im Ratsgebäude der EU ein Gipfeltreffen stattfindet, werden Mitarbeiter des Europäischen Parlaments aus Sicherheitsgründen in andere Gebäude verlegt und intern aufgefordert, sich von Fenstern fernzuhalten. Die Proteste fallen damit zeitlich und räumlich mit einem zentralen politischen Entscheidungsmoment zusammen.

Nach Angaben der Polizei beteiligen sich etwa 7.300 Demonstranten an den Protesten, die Veranstalter sprechen von rund 10.000 Teilnehmern sowie hunderten Traktoren. Demonstranten versuchen, Absperrungen zu durchbrechen, legen Brände und zünden Pyrotechnik. Kartoffeln und Feuerwerkskörper fliegen auch in Richtung des Europaparlaments. Mehrere Gebäude werden beschädigt, mindestens eine Person wird verletzt. Die Bilder aus Brüssel verdeutlichen die Eskalation eines Konflikts, der sich seit Jahren aufbaut.

Österreich: Landwirtschaft zwischen Budgetdruck und Handelsliberalisierung

Aus österreichischer Sicht richten sich die Proteste nicht nur gegen das Mercosur-Abkommen selbst, sondern gegen eine grundsätzliche Entwicklung der EU-Agrarpolitik. An der Demonstration nimmt auch eine rund 50-köpfige Delegation aus Österreich teil. Die Kritik verbindet handelspolitische, budgetäre und strukturelle Fragen.

Der steirische Landwirtschaftskammer-Präsident Andreas Steinegger erklärt in einer Pressemitteilung, die Proteste richteten sich gegen die geplanten Kürzungen für die Landwirtschaft im EU-Budget ab 2028, gegen das Handelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten sowie gegen eine aus Sicht der Bauern zunehmende Bürokratisierung mit immer höheren Produktionsauflagen. Zugleich spricht er von einer starken Solidarität unter Landwirten aus ganz Europa und davon, dass die Proteste der EU einen spürbaren politischen Impuls gesetzt hätten.

Österreichs Landwirtschaft ist im europäischen Vergleich stark kleinteilig organisiert. Viele Betriebe arbeiten mit geringen Margen und sind auf stabile Rahmenbedingungen angewiesen. Zusätzlicher Preisdruck durch Importe aus Drittstaaten trifft diese Struktur besonders empfindlich. Die Sorge vieler Bauern richtet sich weniger auf den unmittelbaren Markteintritt einzelner Produkte als auf die langfristige Wirkung einer weiteren Marktöffnung bei gleichzeitig steigenden Anforderungen im Inland.

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Auch aus Deutschland reisen zahlreiche Landwirte nach Brüssel. Nach einer ersten Schätzung des Bayerischen Bauernverbands beteiligen sich rund 500 deutsche Bauern an den Protesten. Der Deutsche Bauernverband zählt seit Jahren zu den entschiedensten Kritikern des Mercosur-Abkommens.

Günther Felßner, Vizepräsident des Deutschen Bauernverbands, betont in einer Stellungnahme die grundsätzliche Bedeutung der Landwirtschaft für Europa. Man stehe in Brüssel als Europäer, erklärt Felßner, Europa brauche Stabilität, und diese beginne bei der Landwirtschaft. Die EU-Agrarförderung sei ein zentrales Stabilisierungsinstrument für die Ernährungssicherheit, für den ländlichen Raum und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Der Protest in Brüssel steht dabei nicht isoliert. Erst vor wenigen Tagen demonstrierten Landwirte an mehreren Orten in Deutschland mit Traktoren gegen stark gesunkene Butterpreise. Sie werfen dem Lebensmitteleinzelhandel vor, landwirtschaftliche Produkte unter Wert zu verkaufen und Preiskämpfe auf dem Rücken der Erzeuger auszutragen. Die jüngsten Preissenkungen bei Butter gelten vielen Bauern als weiteres Beispiel für den zunehmenden wirtschaftlichen Druck, der durch Marktmechanismen und politische Rahmenbedingungen zugleich entsteht.

Was das Mercosur-Abkommen vorsieht

Kern des Konflikts ist das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und Brasilien, Argentinien, Uruguay sowie Paraguay. Mit mehr als 700 Millionen Einwohnern würde die neue Freihandelszone nach Angaben der EU-Kommission zur größten ihrer Art weltweit. Ziel ist der Abbau von Zöllen und Handelshemmnissen, insbesondere für Industrieprodukte, Dienstleistungen und landwirtschaftliche Erzeugnisse.

Besonders umstritten sind Importquoten für Rindfleisch, Geflügel, Zucker und Ethanol. Kritiker befürchten, dass Produkte aus Südamerika, die unter niedrigeren Umwelt-, Tierwohl- und Sozialstandards erzeugt werden, den europäischen Markt unter erheblichen Preisdruck setzen. Die Folge wäre eine Verschärfung des Wettbewerbs für europäische Betriebe, die gleichzeitig strengere Auflagen erfüllen müssen.

Befürworter des Abkommens verweisen hingegen auf geopolitische Aspekte und neue Absatzmärkte für die europäische Industrie. In der Landwirtschaft stößt diese Argumentation jedoch auf wenig Verständnis. Dort wird das Abkommen als weiteres Beispiel für eine Politik wahrgenommen, die industrielle Interessen priorisiert und agrarische Strukturen in Kauf nimmt.

Politische Spannungen auf EU-Ebene

Das Mercosur-Abkommen ist innerhalb der EU seit Jahren umstritten. Frankreich äußerte wiederholt Vorbehalte, auch Österreich und Polen gelten als skeptisch. Dennoch schloss die EU-Kommission die Verhandlungen im vergangenen Dezember ab. Die Unterzeichnung ist für ein Treffen in Brasilien geplant, setzt jedoch eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten voraus.

Ob diese Mehrheit zustande kommt, ist offen. Mehrere Regierungen stehen innenpolitisch unter Druck, insbesondere aus ländlichen Regionen. Die Proteste in Brüssel, zeitgleich zum EU-Gipfel, erhöhen diesen Druck zusätzlich und machen deutlich, dass die Zustimmung zum Abkommen in der Landwirtschaft schwindet.

Proteste als politisches Warnsignal

Dass es im Umfeld eines EU-Gipfels zu derart massiven Bauernprotesten kommt, ist außergewöhnlich. Die Aufforderung an Mitarbeiter des Europäischen Parlaments, sich von Fenstern fernzuhalten, unterstreicht die angespannte Lage. Die Szenen aus Brüssel zeigen, wie groß die Distanz zwischen europäischer Handelspolitik und der Realität vieler landwirtschaftlicher Betriebe geworden ist.

Der Widerstand richtet sich dabei nicht nur gegen ein einzelnes Abkommen, sondern gegen ein politisches Grundmuster. Während Produktionsauflagen, Umweltstandards und bürokratische Anforderungen innerhalb der EU kontinuierlich steigen, wird der Markt nach außen weiter geöffnet. Für viele Bauern entsteht daraus ein strukturelles Ungleichgewicht, das langfristig die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft gefährdet.

Ob das Mercosur-Abkommen letztlich ratifiziert wird, bleibt offen. Sicher ist jedoch, dass die Proteste in Brüssel die Debatte neu zugespitzt haben. Österreich und Deutschland spielen dabei eine zentrale Rolle. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die politische Ebene auf die Warnsignale aus der Landwirtschaft reagiert oder den eingeschlagenen Kurs fortsetzt.