WIEN/BRÜSSEL/KIEW. Der viel diskutierte Milliardenkredit der EU für die Ukraine - die EU-Staats- und Regierungschefs sind in der Nacht auf Freitag eine finanzielle Verpflichtung eingegangen, deren Tragweite erst auf den zweiten Blick deutlich wird.
Während offiziell von einem zinslosen Darlehen in Höhe von bis zu 90 Milliarden Euro für Kiew die Rede ist, wird es zu real existierende Kosten für alle EU-Netto-Zahler - darunter bekanntlich Deutschland und Österreich - kommen, berichtet die dpa. Deutschland wird ab 2027 pro Jahr bis zu 700 Millionen Euro an Zinsen stemmen müssen, Österreich etwa 70 Millionen Euro.
Die Entscheidung, die auf einem EU-Gipfel getroffen wurde, soll der Ukraine helfen, ihren Staatshaushalt in den kommenden Jahren zu stabilisieren und den Krieg gegen Russland weiter zu finanzieren. Um diese Summe bereitzustellen, nimmt die Europäische Union selbst Kredite am Kapitalmarkt auf. Die Ukraine muss für dieses Geld keine Zinsen zahlen. Doch die Finanzierung hat ihren Preis – und den tragen nicht die Empfänger, sondern die Geber.
EU-Bürger bezahlen die Zinsen für ein Nicht-EU-Land
Nach Informationen aus Brüssel summieren sich die jährlichen Zinskosten für dieses Kreditpaket auf drei Milliarden Euro. Diese Belastung trifft die Mitgliedstaaten entsprechend ihrer Wirtschaftskraft. Für Deutschland, den größten Nettozahler der EU, bedeutet das voraussichtlich zusätzliche Ausgaben von etwa 700 Millionen Euro pro Jahr – allein für Zinsen. Und das auf unbestimmte Zeit.
Für die österreichischen Steuerzahler werden dann 70 Millionen Euro jährlich zu stemmen sein. Läuft dieses Darlehen nur fünf Jahre, müssten dafür 350 Millionen Euro aus Wien fließen.
Die Steuerzahler des EU-Landes Österreich finanzieren also die Kreditzinsen für das Nicht-EU-Land Ukraine und werden von Brüssel aktuell noch mit einem EU-Defizitverfahren bestraft. Und: Die Aussage von Kanzler Christian Stocker (ÖVP), Österreichs Haushalt werde dadurch "nicht unmittelbar belastet", ist in weiten Teilen unwahr: Das Budget werde sehr wohl belastet, allerdings erst ab 2027 - und somit nicht "unmittelbar". Und: Österreich haftet auch noch für einen Teil des Kredits, mit ziemlicher Sicherheit für mehr als 5,5 Milliarden Euro (Statement Österreich - EU will mit russischen Milliarden auch alten G7-Kredit tilgen: Haftet Österreich dann für ein Schneeball-System?)
Unsicher, ob Darlehen je zurückgezahlt wird
Die Rückzahlung der 90 Milliarden Euro ist an ein Szenario geknüpft, das politisch alles andere als sicher ist: Die Ukraine soll das Geld nur dann zurückzahlen, wenn Russland nach Kriegsende Reparationen leistet. Bleiben diese aus, sollen eingefrorene russische Vermögenswerte in der EU zur Tilgung herangezogen werden. Ob diese Mittel tatsächlich in ausreichendem Umfang verfügbar sind und rechtlich genutzt werden dürfen, ist jedoch höchst umstritten. Juristen warnen seit Langem vor komplexen Eigentums- und Völkerrechtsfragen.
Noch problematischer ist ein weiteres, bislang ungelöstes Szenario: ein Friedensabkommen ohne Reparationszahlungen bei einem - aktuell nicht ganz unwahrscheinlichen - Sieg Russlands. In diesem Fall bliebe die EU nicht nur auf den Zinsen sitzen, sondern müsste womöglich auch für die Rückzahlung des Kapitals neue Lösungen finden. Die Risiken tragen dabei vor allem jene Länder, die finanziell am stärksten sind.
Die Zinszahlungen sollen ab 2027 beginnen. Da die EU den Kredit nicht sofort in voller Höhe aufnimmt, sondern schrittweise – zunächst etwa 45 Milliarden Euro –, fallen die Kosten anfangs etwas geringer aus. Doch langfristig steigt die Belastung kontinuierlich. Schon nach fünf Jahren hätte Deutschland 3,5 Milliarden Euro allein an Zinsen gezahlt, ohne dass dadurch ein Teil des Kredits getilgt worden wäre. Österreich wird eben mit den erwähnten 350 Millionen Euro belastet.
Hinzu kommt eine politische Schieflage innerhalb der EU. Mehrere Mitgliedstaaten, darunter Ungarn, Tschechien und die Slowakei, haben die Teilnahme an der Finanzierung dieses Programms verweigert. Damit tragen vor allem die wirtschaftsstarken Länder die finanziellen Lasten, während andere sich entziehen.
Bundeskanzler Friedrich Merz hatte bekanntlich vorgeschlagen, eingefrorenes russisches Staatsvermögen direkt zur Finanzierung der Ukraine-Hilfen zu nutzen, um zusätzliche Kosten für die EU-Haushalte zu vermeiden. Dieser Vorschlag fand jedoch keine ausreichende Unterstützung unter den Mitgliedstaaten.
Der neue EU-Kredit verdeutlicht damit ein zentrales Spannungsfeld der europäischen Ukraine-Politik: Der Wille zur Unterstützung ist groß, doch die finanziellen Risiken sind ungleich verteilt und langfristig kaum kalkulierbar.
(dpa/RS)