WIEN. Kurz vor dem Jahreswechsel zieht Vizekanzler und SPÖ-Chef Andreas Babler im Interview eine erste Bilanz der Regierungsarbeit. Auffällig ist dabei weniger der konkrete Maßnahmenkatalog als ein grundsätzliches politisches Selbstverständnis: Umfragen, so Babler, eigneten sich nicht als Maßstab für Erfolg oder Misserfolg von Regierungspolitik.
Babler spricht im Interview mit dem Kurier die schlechten Werte offen an. Im Vertrauensindex liegt er hinter den Parteichefs von ÖVP und Neos, auch in der Kanzlerfrage schneidet er schwach ab. „Der Blick auf die Umfragen freut uns natürlich nicht“, sagt er. Doch mehr als eine Momentaufnahme seien sie für ihn nicht. Entscheidend sei, ob politische Entscheidungen bei den Menschen „zu spürbaren Verbesserungen“ führten.
Verbesserungen auf Knopfdruck schließt Babler ausdrücklich aus. Politik wirke zeitverzögert, insbesondere nach Jahren außergewöhnlicher Belastungen. Wer Umfragen zum zentralen Steuerungsinstrument mache, verwechsle kurzfristige Stimmung mit nachhaltiger Wirkung.
Der lange Schatten früherer Regierungen
Die Ursachen für den Vertrauensverlust verortet Babler vor allem in der Vergangenheit. Frühere Regierungen hätten einen „budgetären Scherbenhaufen“ hinterlassen und die Inflation „durchrauschen lassen“. Das habe das Vertrauen in staatliches Handeln insgesamt beschädigt. Schlechte Umfragewerte seien daher weniger ein Urteil über die aktuelle Koalition als ein Symptom struktureller Ernüchterung.
Vor diesem Hintergrund formuliert Babler einen Führungsanspruch, der sich bewusst gegen populäre Abkürzungen richtet. Er sei angetreten, um zu zeigen, dass Politik Verantwortung übernehmen könne – auch dann, wenn das kurzfristig nicht honoriert werde.
Innerparteiliche Ungeduld weist Babler zurück, ohne sie zu leugnen. In den Bundesländern nehme er viel Zustimmung dafür wahr, dass die SPÖ Regierungsverantwortung trägt. Dass nicht alle Inhalte eins zu eins dem Parteiprogramm entsprächen, sei in einer Koalition erklärbar. Eine „harte Zeit“ habe man erwartet.
Babler setzt auf Verzögerungseffekte: Maßnahmen wie das Mietrechtspaket, sinkende Energiepreise oder die abebbende Inflation würden erst mit zeitlichem Abstand wahrgenommen.
Bemerkenswert ist Bablers Wahrnehmung einer klaren Abgrenzung vom oppositionspolitischen Komfort. Er hätte es sich leichter machen können, sagt er, als Oppositionsführer ohne Budgetverantwortung. Stattdessen habe er sich für den schwierigen Weg entschieden, wissend, dass Reformpolitik selten sofort belohnt werde.